WAS UNSERE PARTEI KENNZEICHNET: Die politische Kontinuität von Marx zu Lenin bis zur Gründung der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Italiens (Livorno 1921); der Kampf der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale, gegen die Theorie des “Sozialismus in einem Land” und die stalinistische Konterrevolution; die Ablehnung von Volksfronten und des bürgerlichen Widerstandes gegen den Faschismus; die schwierige Arbeit der Wiederherstellung der revolutionären Theorie und Organisation in Verbindung mit der Arbeiterklasse, gegen jede personenbezogene und parlamentarische Politik.


 

Es verwundert nicht, dass die imperialistischen Machthaber_innen jeden ihrer Kriege mit mehr oder weniger hehren politischen Zielen verkleiden (wahlweise wird „die Freiheit“ verteidigt, „entnazifiziert“ oder ein angeblicher Völkermord verhindert). Die skrupellose Übernahme der Kriegspropaganda bei der Analyse des Krieges und der aktuellen politischen Positionierung durch die Linke des Kapitals ist schon beachtlich, zumal sie ja den Sozialismus im Munde führen und zumindest vorgeben, einen Hauch von marxistischer Kenntnis zu besitzen. Es wird gestammelt, was das Zeug hält: Vom größenwahnsinnigen, rückwärtsgewandten Despoten Putin, der sein autokratisches System exportieren will und dem ukrainischen Selbstverteidigungsrecht gegen den Aggressor oder dem legitimen russischen Schutzbedürfnis vor der NATO-Osterweiterung und den ukrainischen Faschist_innen. Rein moralische Reflexe (je nachdem von welcher Propaganda man sich erreichen lässt) und oberflächliche politisch-taktische Erwägungen ersetzen eine materialistische Analyse. Die fehlende oder verfälschte marxistische Theorie dieser „Linken“ führt sie geradewegs an die Seite des imperialistischen Krieges.

Wir haben die Erfahrung zweier imperialistischer Weltkriege im Rücken, in denen der Opportunismus die damals noch vergleichsweise starke Arbeiterbewegung kriegsverwendungsfähig gemacht hatte, und einen möglichen Dritten Weltkrieg vor Augen, der mit einer propagandistischen Wucht vorbereitet wird, von der ein Goebbels begeistert gewesen wäre. Auch wenn dieser Braune, der sich in seiner „Kampfzeit“ auch mal Rot gab, seinen sich Grün gebenden Nachfolgern natürlich nur als Negativfolie dient – schließlich sind heute ja alle Anti-Faschisten. Als Marxist_innen wissen wir allerdings, dass es unabhängig von ideologischen Postulaten und politischen Vorlieben um systemische Notwendigkeiten des in die Krise gekommenen kapitalistischen Systems geht. Der aktuelle Krieg ist kein Kreuzzug für oder gegen die Demokratie sondern ein Ausdruck inner-imperialistischer Konkurrenz. Und dies wird ja auch zwischen allem Menschenrechtsgeseusel relativ offen ausgesprochen, wenn z.B. die deutsche Außenministerin Baerbock von einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ spricht, die „gleichzeitig Werte und wirtschaftliche Interessen verteidigen“ soll und angesichts des aktuellen Krieges offen im Fernsehen posaunt: „Russland dürfe wirtschaftlich auf Jahre nicht mehr auf die Beine kommen“.

Krieg und kapitalistische Entwicklung

Es war Lenin, der beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges einen klaren Kopf behielt und den revolutionären Geist des Marxismus gegen den Opportunismus verteidigte. In seiner im Sommer 1915 in der Schweiz geschriebenen Schrift „Sozialismus und Krieg“ stellte er die grundlegende marxistische Position zum Krieg dar: „Von den Pazifisten wie von den Anarchisten unterscheiden wir Marxisten uns dadurch, dass wir es für notwendig halten, einen jeden Krieg in seiner Besonderheit historisch (vom Standpunkt des Marxschen dialektischen Materialismus) zu analysieren.“ (LW 8, S.299)

Das Wissen um die Rolle der Gewalt sowohl bei der revolutionären Durchsetzung von durch die Entwicklung der Produktivkräfte notwendig gewordenen neuen Produktions- und Machtverhältnissen als auch bei der reaktionären Verteidigung historisch überholter Gesellschaftsordnungen sind dem Marxismus immanent. Marx und Engels haben Zeit ihres Lebens die Kriege für unterstützenswert erachtet, die die Durchsetzung des Kapitalismus allgemein und die Entwicklung des Klassenkampfes des Proletariats konkret begünstigt haben. Lenin ging dementsprechend von historisch-geographisch zu unterscheidenden Typen von Kriegen aus. Dem damals gerade ausgebrochenen imperialistischen Krieg stellte er 1915 in der Analyse den Krieg in der bürgerlich-revolutionären Phase des Kapitalismus gegenüber. Gerade dieser wurde ja damals von der zeitgenössischen sozialdemokratischen Kriegspropaganda gegen das zaristische Russland demagogisch aufgegriffen, um die verräterische Kriegsunterstützung (für das vermeintlich freiheitlichere Deutschland gegen das zaristische Völkergefängnis) zu legitimieren. „Von dieser Zeit [Französische Revolution] bis zur Pariser Kommune, von 1789 bis 1871, stellten die bürgerlich fortschrittlichen nationalen Befreiungskriege einen besonderen Typus von Kriegen dar. Mit anderen Worten: Der Hauptinhalt und die historische Bedeutung dieser Kriege waren die Beseitigung des Absolutismus und des Feudalismus, ihre Untergrabung, die Abwerfung eines national fremden Jochs. Sie waren daher fortschrittliche Kriege und alle aufrechten, revolutionären Demokraten, ebenso wie alle Sozialisten, wünschten bei solchen Kriegen stets den Sieg desjenigen Landes (d.h. derjenigen Bourgeoisie), das zur Beseitigung oder Untergrabung der gefährlichsten Stützpfeiler des Feudalismus, des Absolutismus und der Unterdrückung fremder Völker beitrug.“ (ebenda, S.300).

Die Entwicklung des proletarischen Klassenkampfes in Europa, der mit der schon erwähnten Pariser Kommune einen ersten Höhepunkt gefunden hatte, führte zu einer klaren und direkten Frontstellung zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die keinen Spielraum mehr für ein temporäres antifeudales Bündnis bot. Marx analysierte diese Situation in seiner Adresse an den Generalrat der I. Internationale unmittelbar nach der Niederschlagung der Kommune durch die kollaborierenden Truppen Bonapartes und Bismarcks: „Dass nach dem gewaltigsten Krieg der neuern Zeit die siegreiche und die besiegte Armee sich verbünden zum gemeinsamen Abschlachten des Proletariats – ein so unerhörtes Ereignis beweist, nicht wie Bismarck glaubt, die endliche Niederlage der sich emporarbeitenden neuen Gesellschaft, sondern die vollkommene Zerbröcklung der alten Bourgeoisgesellschaft. Der höchste heroische Aufschwung, dessen die alte Gesellschaft noch fähig war, ist der Nationalkrieg, und dieser erweist sich jetzt als reiner Regierungsschwindel, der keinen andern Zweck mehr hat, als den Klassenkampf hinauszuschieben, und der beiseite fliegt, sobald der Klassenkampf im Bürgerkrieg auflodert. Die Klassenherrschaft ist nicht länger imstande, sich unter einer nationalen Uniform zu verstecken; die nationalen Regierungen sind eins gegenüber dem Proletariat. Nach Pfingstsonntag 1871 kann es keinen Frieden und keine Waffenruhe mehr geben zwischen den Arbeitern Frankreichs und den Aneignern ihrer Arbeitserzeugnisse.“ (MEW 17, S.360f.)

Neben der Erkenntnis der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats, war diese Feststellung der historischen Überholtheit des Bündnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie eine der zentralen Lehren der blutigen Niederlage der Pariser Proletarier. Vier Jahrzehnte später wurde diese Lehre von der Sozialistischen II. Internationale vergessen und die Proletarier Frankreichs, Deutschlands, Englands usw. den kriegführenden kapitalistischen Staaten überlassen. Dieser erbärmliche Verrat der II. Internationale wurde während des Zweiten Weltkrieges von der III. Internationale wiederholt. Gegen die ahistorischen Analogien der sozialchauvinistischen Kriegspropaganda, die ihre Kriegsunterstützung zumindest teilweise mit einer zivilisatorischen Fortschrittspropaganda verharmlosen wollte, erklärte Lenin den Formwechsel des Kapitalismus aus seiner historischen Entwicklung: „Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum größten Unterdrücker der Nation geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der Großmächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (LW 21, S.302) [1]

Lenin hat also in seiner Schrift „Sozialismus und Krieg“ im Marx'schen Sinne die konkrete Untersuchung des Kräfteverhältnisses der Klassen und der ökonomischen Entwicklung in den Mittelpunkt seiner Analyse gestellt, wohl wissend, dass es unmöglich ist wirtschaftliche und politische Prozesse auf rein formaler Weise miteinander zu verbinden. [2]

Opportunismus damals und heute

Vor dem Hintergrund des Verrats an allen bisher proklamierten Antikriegspositionen durch die zusammengebrochene II. Internationale hat Lenin den Opportunismus als Hauptinstrument der Konterrevolution in der Arbeiter_innenklasse herausgearbeitet.

Er hat den Opportunismus dabei nicht nur abgeleitet aus der materiellen Korruption der Partei- und Gewerkschaftsfunktionär_innen und der bessergestellten Schichten der Arbeiter_innenklasse in den Kolonialländern, sondern ihn auch als Produkt einer Politik der vorgeblich schrittweisen, friedlichen Reformierung des Kapitalismus verstanden, die „die Ausnutzung der bürgerlichen Legalität in einen Kniefall vor ihr“ verwandelte (ebenda, S. 311). Als Produkt der reformistischen Arbeiter_innenbewegung entwickelte sich der Opportunismus in ein Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft. „Der Krieg beschleunigte die Entwicklung, indem er den Opportunismus zum Sozialchauvinismus, das geheime Bündnis der Opportunisten mit der Bourgeoisie zu einem offenen machte.“ (ebenda) Der Krieg war und ist immer ein Gradmesser für das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die Stärke der Konterrevolution. Auch heute ist der Opportunismus Teil der imperialistischen Kriegspolitik. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg schrieben wir in einem Text über Kriege und opportunistische Krisen im Verlauf der Klassenbewegung des Proletariats: „Mit dem Wort ‘Opportunismus’ wollte man in den Jahren 1914-18 nicht ein rein moralisches Urteil über den Verrat der Führer der revolutionären Bewegung äußern, die im entscheidenden Augenblick sich als Agenten der Bourgeoisie erwiesen und Parolen verbreiteten, die jenen der jahrelang entwickelten Propaganda diametral entgegengesetzt waren. Der Opportunismus ist eine historische und soziale Tatsache, einer der Aspekte der bürgerlichen Klassenverteidigung gegen die proletarische Revolution. So kann man sagen, dass der Opportunismus der proletarischen Hierarchien die Hauptwaffe dieser Verteidigung ist, sowie der Faschismus die Hauptwaffe der damit eng verflochtenen bürgerlichen Gegen-Offensive ist. Beide Kampfmittel gliedern sich zum gemeinsamen Zweck zusammen.“ (Der Kampf gegen den alten und den heutigen Revisionismus. Texte der IKP 3, S.66)

Dies zeigt sich sinnbildlich auch heute, wo die opportunistische Linke des Kapitals nicht davor zurückschreckt sich in eine gemeinsame Kriegsfront mit offenen Faschisten einzureihen (wohlgemerkt eine Realität auf beiden Seiten der aktuellen Frontlinie). Beispielhaft sei hier nur ein im Mai in Lwiw / Lemberg stattgefundenes Treffen von v.a. trotzkistischen und anarchistischen Gewerkschafter_innen genannt, zu dem die dortige Organisation „Sotsialny Rukh“ eingeladen hatte. Grundlage dieses „linken Solidaritätstreffens“ war die vermeintliche Notwendigkeit der militärischen Verteidigung der Ukraine. In einem längeren Bericht über dieses Treffen in der Zeitschrift analyse und kritik (ak) wurden zwar auch einige Schlaglichter auf das reaktionäre Selenskyi-Regime geworfen (Lohnraub in staatlichen Unternehmen, Streikverbot, Kriegsrecht), um dann aber ganz basisdemokratisch Aktivist_innen vor Ort zur Wahrheitsfindung zu interviewen. Und deren Antworten haben es in sich. So wird z.B. ein Vertreter der Gruppe „Operation Solidarity“ interviewt. Internationale Klassensolidarität, die ja auch die Arbeiter_innenklasse in Russland einschließt, ist offensichtlich nicht im Sinne dieser vermeintlichen Anarchist_innen und Antiautoritären, deren Vertreter erklärte: „Mit einer militärischen Niederlage der Ukraine hätten auch alle anderen Formen des Aktivismus keinen Sinn mehr, ein politisches Leben wie bisher ist dann nicht mehr möglich.“ (ak 682 v. 17.5.22, S.14) Noch deutlicher wird der widerwärtige Nationalismus dieses „antiautoritären Anarchisten“, wenn er erhellend die linkskapitalistischen Reiseaktivist_innen auf eine klassenlose nationale Identität einschwört: „Wenn du wirklich ein Linker bist, dann höre den Menschen vor Ort zu und versuche zu verstehen, dass die Ukrainer_innen ihre eigene Subjektivität haben.“ (ebenda)

Dass die Anarchist_innen, die in der Ukraine mit eigenen Einheiten der Territorialverteidigung mit den offen faschistischen Asow-Einheiten in einer Frontlinie stehen, offensichtlich besonders anfällig für den nationalistischen Kriegstaumel sind, liegt sicherlich in dieser subjektivistischen und individualistischen Haltung. Befreit von einer proletarischen Klassenposition, bar jeder materialistischen Analyse und ohne den Kompass einer im historischen Klassenkampf geschärften Strategie und Taktik finden sich diese Anarchist_innen in der Stunde des Krieges an der Seite des sonst so verhassten Staates wieder und schrecken dort auch nicht vor der Denunziation von Antikriegsaktivist_innen zurück. [3]

Der imperialistische Krieg

Die idealistische und opportunistische Betrachtung des Krieges, die nicht nur der bürgerlichen Propaganda aufsitzt, sondern im Kriegsgemetzel vermeintliche taktische Handlungsspielräume für den gesellschaftlichen Fortschritt ausloten will, verkennt das Wesen des imperialistischen Krieges. Dieser ist kein politisch-ideologischer Kreuzzug (auch wenn er als solcher verkauft wird), sondern das Produkt der Konkurrenz identischer Systeme. Egal welche Seite den Krieg gewinnt, es setzen sich universell die politisch-ökonomischen Notwendigkeiten der kapitalistischen Herrschaft durch. Dies galt am Ende des 19. Jahrhunderts, genauso wie im 20. Jahrhundert und auch heute, wo sich Militarisierung, Gleichschaltung der Medien und Kriegswirtschaft in allen Staaten durchsetzten.

Hierbei wird – entgegen aller „neoliberalen“ Ideologien – die zentrale Rolle des Staates für die Sicherung und Entwicklung der kapitalistischen Herrschaft deutlich. Die „Kriegswirtschaft“ wird konkret in allen imperialistischen Staaten ins Feld geführt. Dies gilt also nicht nur für die direkt kriegführenden, wie den russischen Staat, der schon kriegsrechtliche Gesetze für die Wirtschaft erlassen hat. Mit diesen werden z.B. Unternehmen gezwungen, Aufträge mit Bezug auf die „Landesverteidigung“ anzunehmen sowie in entsprechenden Betrieben Arbeitsschutzbestimmungen ausser Kraft gesetzt und Streiks verboten. Auch in Deutschland sprechen Politiker und Wirtschaftsbosse inzwischen offen von „Kriegswirtschaft“ und „Notstandsmaßnahmen“. So z.B. der frühere EU Energiekommissar Oettinger, „der das Wort Kriegswirtschaft in den Mund nimmt und damit weitreichende Eingriffe der europäischen Staaten in Wirtschaft und Gesellschaft meint“, wie der Standard vom 9./10. Juli berichtete. Oder der BDA-Chef Dulger, der sich für die Ausrufung eines „nationalen Notstands“ erwärmt, mit dem sich Arbeitskämpfe wie Streiks besser brechen lassen könnten. (junge welt v. 2./3.7.22)

Der Staat agiert hier nicht mehr nur als „ideeller Gesamtkapitalist“, der den politischen Rahmen für das wirtschaftliche Handeln der Einzelkapitale schafft, sondern als politischer und wirtschaftlicher Akteur, der die imperialistische Stoßrichtung bestimmt. Die politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten sind hierbei nicht mehr zu trennen. So beinhalten z.B. die aktuellen ukrainischen Gesetze der Gleichschaltung und Repression, wie der Selenskij-Erlass „über die einheitliche Informationspolitik unter den Bedingungen des Kriegsrechts“ oder die „Antikollaborationsgesetzgebung“ auch wirtschaftliche Komponenten, wie das Verbot „wirtschaftlicher Beziehungen mit dem Aggressor und dessen Okkupationsverwaltung“. Prominentestes Opfer: Der ehemalige Präsident Poroschenko, dem vorgeworfen wird „im Zusammenwirken mit Vertretern der Führung Russlands Hochverrat begangen und die Tätigkeit terroristischer Organisationen durch illegalen Einkauf von Kohle begünstigt“ zu haben (FAZ v. 18.1.22) Auch der russische Staat, dem Altstalinist_innen und SU-Nostalgiker_innen zugute halten wollen, als vermeintlich „schwacher Kapitalismus“ nicht originär imperialistisch zu sein [4], verbindet seine geostrategische Aggression mit unmittelbaren wirtschaftlichen Massnahmen. So hat er in den besetzten ukrainischen Bezirken Cherson und Saporischschja, die nicht zu den erklärtermassen zu schützenden sog. „Volksrepubliken“ zählen, die Betriebe der ukrainischen Oligarchen Achmetow, Kolomojskij und Pintschuk „nationalisiert“ und den Strom des besetzten AKW Saporischschja ins russische Stromnetz eingespeist (bzw. der Ukraine zum Kauf angeboten!). Hier zeigen sich staatskapitalistische Annektion und Raub, die nichts anderes sind als Wesensmerkmale imperialistischer Politik.

Schon am Ende des 2. Weltkrieges, als unsere Partei in Verbindung mit den wieder aufflammenden Arbeiter_innenkämpfen in Norditalien von Genoss_innen, die die internationalistische Position aufrecht erhalten hatten, neu organisiert wurde, schrieben wir: „Die militärischen Staaten führen keine Kriege, um der Welt gesellschaftliche und politische Regimes, die ihren gleichen, aufzuzwingen. Diese Auffassung ist voluntaristisch und teleologisch. Wäre sie annehmbar, würde das heißen, dass die marxistische Methode über Bord geworfen werden soll.“ (Texte der IKP 3, S.71f.) Wir erklärten die marxistische Position vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen: „Sowohl die bonapartistischen Franzosen als auch die preußischen Deutschen erklärten sich für Kämpfer der Zivilisation und der Freiheit. Hätten die einen oder die anderen gesiegt: was sich vorwärts drang, war der unerbittliche kapitalistische Werdegang. Und in der Erklärung des geschichtlichen Übergangs zeigt sich die überlegene Macht der sozialen Klassenmethode des Marxismus, die von Grund auf mit der vulgären, scholastischen und pharisäischen Methode des ‘Kreuzzugismus’ unvereinbar ist.“ (ebenda, S.73) Es waren 1871 bekanntermassen die Preußen, die Napoleon III militärisch besiegten, es war aber das in Frankreich weiterentwickelte kapitalistische System in seiner bonapartistischen Form, dass sich in Deutschland durchsetzte, wie Engels drei Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg schrieb: „Somit hat also Preußen das sonderbare Schicksal, seine bürgerliche Revolution, die es 1808 – 1813 begonnen und 1848 ein Stück weitergeführt, Ende dieses Jahrhunderts in der angenehmen Form des Bonapartismus zu vollenden.“ (MEW 18, S.513)

Der Krieg diente schon immer als Katalysator für die kapitalistische Entwicklung. Dies gilt auch für sein konterrevolutionäres Stadium. Lenin hat 1915 den Sinn des imperialistischen Krieges für die Herrschenden u.a damit erklärt, dass er geführt wird „zur Festigung und Verlängerung der Lohnsklaverei, denn das Proletariat wird durch ihn gespalten und niedergehalten, während die Kapitalisten davon profitieren, da sie sich am Krieg bereichern, die nationalen Vorurteile schüren und die Reaktion stärken, die in allen, selbst in den freisten und republikanischen Ländern ihr Haupt erhebt.“ Seine während des Ersten Weltkrieges getroffene Feststellung, galt genauso während des Zweiten Weltkrieges. Hier zeigte sich sogar ein noch tiefer gehender „Verrat“ des Opportunismus, wie wir schon damals analysierten. Während des Ersten Weltkrieges hatten „die opportunistischen Führer behauptet, dass es sich lediglich um die Einräumung eines vorübergehenden Burgfriedens handelte“. Die Weisungen des antifaschistischen Opportunismus der III. Internationale war noch weitgehender. „Nach dem Plan der neuen Opportunisten, bekommt die Bourgeoisie einen vollkommenen Burgfrieden und auch eine direkte Zusammenarbeit in den nationalen Regierungen sowie beim Aufbau neuer internationaler Organe, und dies nicht nur während der ganzen Kriegszeit und bis zur Niederlage des Nazi-Monsters, sondern die ganze darauffolgende historische Periode, deren Ende nicht abzusehen ist.“ (Texte der IKP 3, S, 67f). Statt auf den antifaschistischen Nachkriegskonsens und die Rekonstruktion der kapitalistischen Demokratie setzte unsere Partei damals auf die Autonomie der Klassenaktion des Proletariats. Wir gaben den Kompass der marxistischen Analyse trotz der ideologischen Verheerungen der stalinistischen Konterrevolution nicht aus der Hand und analysierten die Rolle des Antifaschismus, der die Proletarier an die Bourgeoisie der alliierten Länder binden sollte. Wir schrieben schon damals, dass die Alliierten Sieger gleichzeitig Testamentsvollstrecker des Faschismus werden würden:

„Anstatt einer Welt der Freiheit, wird der Krieg eine Welt noch größerer Unterdrückung mit sich gebracht haben. Als das neue faschistische System, Produkt der jüngsten, imperialistischen Phase der bürgerlichen Ökonomie, die Länder, wo die nachtrauernde liberale Lüge – Überbleibsel einer überholten historischen Epoche – noch umlaufen konnte, vor eine politische Erpressung und eine militärische Herausforderung stellte, ließ es dem sterbenden Liberalismus keine günstige Alternative: Entweder würden die faschistischen Staaten den Krieg gewinnen, oder deren Gegner, aber dann nur unter der Bedingung, die politische Methodologie des Faschismus zu übernehmen. Also kein Konflikt zwischen zwei Ideologien oder zwei Auffassungen des gesellschaftlichen Lebens, sondern der notwendige Prozess des Aufkommens neuer Formen der bürgerlichen Welt, einer Form, die betonter, autoritärer, zu jeder Anstrengung für die Konservation und gegen die Revolution entschlossen ist.“ (Text der IKP 3, S.71) Inzwischen hat die Arbeiter_innenklasse jahrzehntelange Erfahrung sammeln können mit diesen postfaschistischen gepanzerten Demokratien, die die faschistische Konterrevolution in sich tragen, wie die Wolke den Regen: Gefangen im staatlich institutionalisierten Korporativismus, ausgesetzt dem staatswirtschaftlichen Dirigismus – und bei Regelverstößen Zielscheibe offener Repression und auch extralegalen Terrors. Je stärker die Krise des kapitalistischen Systems wird und je umfangreicher seine kriegerischen Lösungsstrategien zu Tage treten, um so mehr nehmen Gleichschaltung und Repression in allen Ländern zu. Es ist bestenfalls eine peinliche Illusion, diese autoritäre Entwicklung im Rahmen der bürgerlichen Politik aufhalten zu wollen, während man in Wirklichkeit dadurch gerade Teil dieser Formierung wird, wie es viele ehemalige „linke Kriegsgegner_innen“ heute nur zu deutlich zeigen.

Die notwendige Antwort der Arbeiter_innenklasse

Gegen den imperialistischen Krieg kann es keine taktische Haltung der Arbeiter_innenklasse geben. Der konsequente proletarische Internationalismus und revolutionäre Defätismus sind die einzig mögliche Aufgabe. „Diese Aufgabe findet ihren richtigen Ausdruck nur in der Losung: Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg, und jeder konsequente Klassenkampf während des Krieges, jede ernsthaft durchgeführte Taktik von ‘Massenaktionen’ muss unvermeidlich dazu führen.“ (Lenin, Sozialismus und Krieg, LW 21, S.315)

Zu welcher Konfusion ein Abweichen von dieser klaren Position führt, zeigt sich aktuell u.a. in einer Erklärung der sog. Antikapitalistischen Linken in der Linkspartei für einen „antimilitaristischen Defätismus“ (Dokumentiert in junge welt vom 9.6.22). Den Anspruch vertretend, sich nicht auf die Logik der Kriegspolitik einzulassen, tun es diese trotzkistisch inspirierten Realpolitiker_innen dann doch, wenn sie auch dem erklärtermaßen bürgerlichen Staat Ukraine das „Recht auf Selbstverteidigung“ einräumen, „Art und Umfang der Unterstützung der Ukraine“ aber von „den zu erwartenden Erfolgschancen“ abhängig machen wollen. Um die Spirale der Gewalt (die sie nicht systemimmanent verorten) zu durchbrechen, fordern sie statt Waffenlieferungen, dass der Krieg „schnell am Verhandlungstisch beendet wird“. Für die Arbeiter_innenklasse propagieren sie eine „Strategie des gesellschaftlichen (sozialen) Widerstands“ in Form von „Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht, Kundgebungen, Demonstrationen, Streiks, gegebenenfalls auch Sabotageaktionen“. Hier wird das soziale Terrain ins Spiel gebracht, aber das antikapitalistische Ziel des Klassenkampfes negiert. Es geht nicht gegen alle Kapitalist_innen und um die Vorbereitung der Weltrevolution, sondern um das Einspannen der Arbeiter_innenklasse ins Geschäft der bürgerlichen, den Krieg ergänzenden Diplomatie. Als „langfristiges Ziel“ wird in der Erklärung dann noch allen ernstes realpolitisch – oder eher realsatirisch – gefordert „die Rüstungsindustrie zu vergesellschaften“. Gegen eine solche Kriegsunterstützung light wollen wir ebenfalls Lenin zitieren, der 1914 klar erklärte: „Die Interessen der Arbeiterklasse und ihres Kampfes gegen den Kapitalismus erfordern volle Solidarität und unlösbare Einheit der Arbeiter aller Nationen, sie erfordern Gegenwehr gegen die nationalistische Politik der Bourgeoisie, welcher Nationalität sie auch sei. (…) Dem Lohnarbeiter, der sich seiner Klasseninteressen bewusst geworden ist, sind die staatlichen Privilegien der großrussischen Kapitalisten ebenso gleichgültig wie die Versprechen der polnischen oder ukrainischen Kapitalisten, die das Paradies auf Erden verheißen, wenn sie selbst staatliche Privilegien erlangen.“ (LW Bd. 20, S.428)

Auch wenn wir heute von proletarischen Massenaktionen nur träumen können und die Arbeiter_innenklasse die herrschende Kriegspolitik weitgehend hinnimmt – wenn auch nicht mit der von den bürgerlichen Medien herbeigeschriebenen und von der Regierung gewünschten Kriegsbegeisterung – so wird der Klassenantagonismus gerade in der Krisen- und Kriegspolitik deutlich. Es sind nicht nur die schwindelerregenden Militärausgaben, die die Kassen der Rüstungskonzerne füllen und letztendlich von der Arbeiter_innenklasse durch Steuern und Sozialkürzungen bezahlt werden müssen, es sind vor allem die akut steigenden Preise und sinkenden Löhne, die die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen drücken. Eine Inflationsrate von in Deutschland über 10% (bei Lebensmitteln sogar ca. 20% und bei den Energiepreisen mehr als das Doppelte) lässt bei denen, die sowieso schon jeden Euro umdrehen müssen, keinen Platz für ein „Gürtel enger schnallen“ um „Putin zu stoppen“, wie es die grünen, gelben und schwarzen Parteien der Besserverdienenden propagieren. Der konsequente Kampf gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Bourgeoisie ist das Terrain, auf dem eine wirkliche Kraft gegen den Krieg entstehen kann. Nicht mit dem Abarbeiten an der bürgerlichen Kriegspropaganda oder gar diplomatischen Ratschlägen für eine „Friedenspolitik“, sondern nur durch die Vorbereitung der proletarischen Klassenaktion kann der imperialistischen Kriegspolitik entgegengetreten werden.

Ein Hindernis, das sich der notwendigen Entwicklung der Klassenaktion entgegenstellt sind allerdings die DGB-Gewerkschaften. Als ein Produkt des korporativistischen Klassenkompromisses und Instrument der staatlichen Kontrolle über die Arbeiter_innenklasse ist sich der DGB auch angesichts des Krieges seiner Verantwortung für den „Standort Deutschland“ und den „sozialen Frieden“ bewusst. So sprach z.B. der DGB Bundeskongress im Mai seine Unterstützung für die Rüstungspolitik der Bundesregierung aus, bzw. „ihr Bestreben einen substanziellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von NATO und EU“ zu leisten. Gleichzeitig zeigen sich die DGB-Gewerkschaften äußerst zurückhaltend, in ihrer Tarifpolitik gegen den inflationsbedingten Lohnraub vorzugehen. „Die aktuell explodierenden Preise mit Steigerungsraten von 7,3% sind mit Tarifpolitik nicht mehr aufzufangen“, erklärte z.B. die IG Metall im April. Und Verdi Tarifpolitiker halten allen Ernstes die Durchsetzung von 4% Lohnanstieg in kommenden Tarifrunden für ein gutes Ergebnis und unterstützen damit offen den Lohnraub.

Es sind die Hürden der allumfassenden nationalistischen und militaristischen Propaganda, der gewerkschaftlichen Kontrolle und nicht zuletzt der staatlichen Repression, die die Entwicklung des proletarischen Klassenkampfes so schwierig machen. Um diese Hürden zu nehmen, bedarf es der Klarheit der marxistischen Theorie nicht nur in der Frage des Krieges und natürlich der Klassenpartei des Proletariats.

Fußnoten:

[1] Lenin wusste in seiner Analyse allerdings zu unterscheiden, zwischen dem entwickelten Kapitalismus in Europa und der damals noch ausstehenden bürgerlich-revolutionären Entwicklung in Asien. Eine Entwicklung, die mit der bürgerlichen Revolution in China unter Mao Tse-tung Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt und mit den folgenden antikolonialen Kämpfen der 50er bis 70er Jahre ihr Ende fand. Mit Blick auf die „Völker des Ostens“ schrieb Lenin damals: „Umgekehrt sehen wir in China, Persien, Indien und in anderen abhängigen Ländern im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Politik des Erwachens von Dutzenden und Hunderten Millionen Menschen zum nationalen Leben, ihrer Befreiung vom Joch der reaktionären Großmächte. Auf solchem historischen Boden kann der Krieg auch heute ein bürgerlich-fortschrittlicher, ein nationaler Befreiungskrieg sein.“ (LW 21, S. 305) Die historische Durchsetzung des Kapitalismus und die Herausbildung des Weltproletariats als dominierende Klasse haben heute weltweit klassenübergreifende Bündnisse und doppelte Revolutionen des Proletariats obsolet und den reinen proletarischen Klassenkampf notwendig gemacht.

[2] Wir haben 1951 in einem Text über die Lehren der Konterrevolution dargestellt, dass politische Niederlagen nicht automatisch einen ökonomischen Rückschritt hervorbringen müssen (u.a. am Beispiel der im historischen Sinne modernisierenden kapitalistischen Entwicklung Russlands durch die stalinistische Konterrevolution). Diese Analyse, der jedes schematische Verständnis von Aufstieg und „Dekadenz“ des Weltkapitalismus fremd ist, hat auch eine sehr konkrete Bedeutung für die Haltung des Proletariats zum bürgerlich-nationalen Krieg. Marx und Lenin erklärten am Beispiel der Niederschlagung der Pariser Kommune, dass im entwickelten Europa schon vor der imperialistischen Phase des Kapitalismus der konterrevolutionäre Charakter der Bourgeoisie politisch bestimmend war. Genauso verebbte in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die revolutionäre Kampfbereitschaft der nationalen Bourgeoisien der sog. „3. Welt“ noch bevor die kapitalistische Entwicklung die weltweite Proletarisierung abgeschlossen hatte.

[3] Im Gegensatz zu den Anarchist_innen versucht die mit dem internationalen trotzkistischen Millieu verbandelte und von der Rosa Luxemburg-Stiftung unterstützte „demokratisch-sozialistische Bewegung“ Sozialnyi Ruch ihren Sozialchauvinismus mit pseudo-marxistischer Terminologie von „nationaler Selbstbestimmung“ und „Volksbefreiungskrieg“ zu verkaufen. In ihrem Buhlen um Kriegsunterstützung bei westeuropäischen Linken, versuchen sie bei deren antiimperialistisch-demokratischen Sympathien für die Überreste der antikolonialen Bewegungen anzusetzen: „Und so wie Linke die KämpferInnen in Rojava unterstützt haben, obwohl die syrischen KurdInnen amerikanische Militärhilfe erhielten, sollten Linke das ukrainische Volks unterstützen.“ (schreibt einer ihrer Köpfe, Taras Bilous, im Mai 22 in Dissent Magazine). Für uns Marxist_innen ist dieser versuchte politische Schulterschluss vielmehr ein Beleg für die historische Überholtheit des bürgerlich-revolutionären Kampfes um nationale Selbstbestimmung, der auch subjektiv keinerlei revolutionäre Dynamik mehr entfalten kann, die auch nur ansatzweise Anknüpfungspunkt für eine proletarisch-revolutionäre Politik sein könnte, sondern Kapitulation vor dem Imperialismus auf ganzer Linie bedeutet (egal ob der verlogene Klassenfrieden demokratisch-konföderalistisch, antifaschistisch oder nationalistisch verkauft werden soll).

[4] So wird von der sozialchauvinistischen russischen KP und ihren Apologet_innen u.a. behauptet, dass die „Restauration des Kapitalismus“ in Russland sich ohne die Herausbildung einer Bourgeoisie vollzogen hätte, Russland wirtschaftlich in der Hand des Auslandskapitals sei, ja einen Abwehrkampf gegen die amerikanischen „kolonialen Bestrebungen“ führen müsse (siehe u.a. Arnold Schölzel in der jw vom 06.07.2022) . Schon 1951, als für diese sozialdemokratisierten „Kommunist_innen“ Russland noch das „sozialistische Vaterland“ war, während kritische Linkssozialist_innen und Trotzkist_innen meinten, neue (halbkapitalistische) Zwischenformen (damals zwischen Sozialismus und Kapitalismus) konstruieren zu müssen, traten wir gegen diese „Scharlatanerie über eine dritte Kraft oder eine dritte Klasse – die ‘Bürokratie’, die ‘Technokraten’“ auf und verteidigten die marxistische Analyse des Kapitalismus als einheitliches, totalitäres Systems. In unserer Schrift über die Lehren der Konterrevolution schrieben wir, dass der Kapitalismus „konstant und nicht flexibel (ist); er passt sich weder an noch bleibt er zurück.“ Wir stellten fest: „Es gibt Phasen, aber keine Typen des Kapitalismus, obwohl der wirkliche Mechanismus der Gesellschaft nicht durch einen reinen Typus in der Zeit (d.h. einen der sich sofort auf die ganze Welt ausdehnt) und im Raum (d.h. einen, der automatisch alle vorher existierenden und besiegten Klassen innerhalb eines jeden Landes beseitigt) gekennzeichnet ist, sondern durch ein Mischgewebe verschiedener Produktionsformen. (...) Alle Regimes sind Teil der Weltordnung, aber nicht, weil gegenwärtig in allen Ländern alle Wirtschaftssektoren organisch mit dem historisch vorherrschenden Gesellschaftstyp übereinstimmen; viele hartnäckige Flecken bestehen fort (frühere Produktionsformen), aber ein einziges kapitalistisches Bindeglied verbindet sie heute durch den Warenaustausch, und dieses Bindeglied offenbart den Typus der gesellschaftlichen Organisation, der die bewohnte Welt beherrscht.“ Was damals für die sich kapitalistisch entwickelnde Sowjetunion galt, gilt heute erst recht für das kapitalistische und imperialistische Russland: „Das Wesen des Kapitalismus zeichnet sich durch die Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln, an der Masse der Produkte und an der wirtschaftlichen Verwaltung aus. Der kapitalistische Staat sichert der Bourgeoisie ihre Verfügungsgewalt und ihr Monopol über die Produkte, dies ist das Wesentliche (…) Es ist ein übliches Klischee des Vulgärmarxismus (…) zu fragen, wer der Nutznießer und persönliche Konsument der kapitalistischen Ausbeutung ist, und dabei unzählige Zitate von Marx über die unpersönliche Seele des Kapitals und über die Entpersönlichung des Kapitalisten zu vergessen (…) Es wäre ebenso unzureichend und wissenschaftlich falsch, ‘Krypto-Unternehmer’ und ‘Krypto-Geschäftsleute’ als Nutzniesser der Früchte des russischen Kapitalismus zu betrachten (wie wir bereits sagten, ist es nicht die Frucht, die zählt, sondern die ganze Pflanze).“ Die durch die Altstalinist_innen vorgenommene Ableitung der sozialökonomischen Bestimmtheit und der entsprechenden politischen Verfasstheit Russlands vom Wirken gerissener Oligarchen und wild gewordener Ideologen ist nicht anderes als ein Neuaufguss der alten antimarxistischen Theorie, allerdings deutlich weniger innovativ und wesentlich reaktionärer als die „linken“ Erklärungsversuche in den 50er Jahren.

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