WAS UNSERE PARTEI KENNZEICHNET: Die politische Kontinuität von Marx zu Lenin bis zur Gründung der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Italiens (Livorno 1921); der Kampf der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale, gegen die Theorie des “Sozialismus in einem Land” und die stalinistische Konterrevolution; die Ablehnung von Volksfronten und des bürgerlichen Widerstandes gegen den Faschismus; die schwierige Arbeit der Wiederherstellung der revolutionären Theorie und Organisation in Verbindung mit der Arbeiterklasse, gegen jede personenbezogene und parlamentarische Politik.


 

In den letzten Monaten war die miserable Situation im Gesundheitswesen, sprich die hohe Arbeitsbelastung des Pflegepersonals bei schlechter Entlohnung immer wieder Gegenstand in der öffentlichen Diskussion, gerade auch aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie, obwohl die Situation lange vorher für die Beschäftigten bereits unerträglich und die dementsprechende Behandlung für viele Patient_innen eine Zumutung war.

Während bürgerliche Medien über die Missstände berichteten, versprachen Politiker_innen fast aller bürgerlicher Parteien in ihren üblichen Sonntagsreden Verbesserungen. Für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ist die Situation auch deshalb schwierig, weil die Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung auf Bundesebene festgelegt werden (Personalschlüssel, Finanzierung durch Fallpauschalen usw.) und die Klinikkonzerne somit versuchen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen und die Beschäftigten durch die Mühle der bürgerlichen Politik hingehalten und zermürbt werden sollen.

Dabei ist klar, dass „gutes Zureden“ oder hoffen auf diese oder jene Regierung nichts bringt und sich ohne Kampfbereitschaft, ohne gewerkschaftliche Organisierung, ohne unbefristete Streiks keine Verbesserungen jenseits der kosmetischen Zugeständnisse der Politik durchsetzen lassen. Auch dürfen wir in diesen Auseinandersetzungen die Rolle der staatstragenden Gewerkschaften nicht vergessen, die zwar oftmals der einzige real existierende Anlaufpunkt für gewerkschaftliche Organisierung und Streiks sind, gleichzeitig aber ein Ventil für die angestaute Wut darstellen, um diese wieder sozialpartnerschaftlich in geordnete Bahnen zu lenken und zu befrieden.

Die Ausgangslage

Ein teils positives aber auch schwieriges Beispiel für gewerkschaftliche Kämpfe im Gesundheitswesen stellt die Charité in Berlin dar, mit über 3000 Betten und ca. 14.000 Beschäftigen (ohne die ausgegliederten Servicegesellschaften) das größte Krankenhaus in Europa, welches zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, das wiederum eine „linke“ Landesregierung aus SPD, Grünen und der Linkspartei hat. Hier hat der Unmut gegen Personalmangel und Arbeitsüberlastung der Beschäftigten zu ersten Organisierungsversuchen geführt – mit der Folge, dass es bereits seit einigen Jahren immer wieder zu Arbeitskämpfen und zu Streiks gekommen ist, bei denen diese Missstände angeprangert und Entlastungen für die Beschäftigten vertraglich festgeschrieben wurden. Wir wollen an dieser Stelle die Entwicklung der letzten Jahre, die Dynamik der Kämpfe und die dabei immer wieder aufkommenden Probleme darstellen, um anschließend auf die aktuelle Situation zurückzukommen.

Bereits 2011 gab es in der Charité einen Kampf für höhere Löhne: Nach der Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2004 konnten die Arbeitskämpfe nicht wie bisher geführt werden; eine Reduzierung der Anzahl der Pflegekräfte verursachte nur geringen wirtschaftlichen Schaden für die Kliniken. Deshalb mussten sich die Pflegekräfte bei der Organisierung der Kämpfe umorientieren. Luigi Wolf beschrieb das in seinem Beitrag für das Buch „Mehr von uns ist besser für alle!“ folgendermaßen:

„Sie organisierten ihre letzten Streiks so, dass keine neuen PatientInnen aufgenommen und frei werdende Betten nicht mehr belegt werden konnten. Nach fünf Tagen Vollstreik waren im Jahr 2011 etwa 1.500 von 3.300 Betten der Charité ‘gesperrt’. 90 Prozent der Operationen fielen aus und die Charité erlitt empfindliche finanzielle Verluste.“

Das Ergebnis war allerdings ziemlich mager: wenige Jahre nach ihrem Austritt aus dem Arbeitgeberverband, um eine Absenkung der Löhne durchzusetzen, wurde lediglich eine geringe Lohnerhöhung von 300 Euro erzielt – gestreckt auf eine Tarifvertragslaufzeit von fünf Jahren. Es sollte damit auch eine mittelfristige Angleichung an das Niveau des Flächentarifvertrags erreicht werden, was dann aber erst im Oktober 2017 mit dem Eintritt der Charité in den Kommunalen Arbeitgeberverband und dadurch in den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD) geschah. Aus diesem Kontext entstand dann auch die Forderung nach Entlastung durch mehr Personal.

Die Kämpfe der Charité-Pflegekräfte für eine Arbeitsentlastung

2012 beschloss die ver.di-Betriebsgruppe Charité, das Thema Personalbesetzung zur Tarifforderung zu machen, um somit die enorme Arbeitsüberlastung der Beschäftigten und die katastrophale Unterbesetzung in der Klinik anzugehen: „Seit 2013 fordert die Gewerkschaft an der Charité einen Mindestbesetzungstarifvertrag: Eine Pflegekraft soll auf einer Normalstation nicht mehr als fünf Patienten betreuen, auf Intensivstationen zwei. Nachts soll niemand mehr allein auf einer Station eingesetzt werden.“(ver.di). Sie wurde damit zur deutschlandweiten Vorreiterin im Kampf um eine Personalentlastung im Krankenhausbereich. Während es in Deutschland üblich ist, für höhere Löhne, mehr Urlaub, eine Verkürzung der Arbeitszeit, besseren Arbeitsschutz oder gegen eine Arbeitsverdichtung zu kämpfen, haben es sich die Arbeitgeber bisher nie aus der Hand nehmen lassen, über die Personalbesetzung im Unternehmen entscheiden zu dürfen und sich stets geweigert, darüber zu verhandeln. Insofern wurde diese Forderung als Tabubruch verstanden und der Arbeitgeber versuchte, dieses Ansinnen als „grundgesetzwidrig“ abzutun und klagte zweimal vor Gericht und verlor. Im Frühjahr 2013 fand dann eine Warnstreikmobilisierung statt und 2014 hatten sich beide Seiten auf einen Kurzzeittarifvertrag für 6 Monate geeinigt: 80 Neueinstellungen in besonders überlasteten Bereichen sollten kurzfristig zu einer Entspannung der Situation beitragen. Eine paritätisch besetzte Kommission sollte den Einsatz dieser zusätzlichen Kräfte steuern. Das Projekt wurde allerdings von ver.di nachträglich als gescheitert betrachtet: Die vermeintlich zusätzlichen Einstellungen waren in der allgemeinen Personalfluktuation untergegangen und hatten keine Entlastung gebracht.

Weil also bis dahin nichts herausgekommen ist, was die Arbeitsbedingungen – und damit auch die Versorgung der Patient_innen – nachhaltig verbessert hätte, waren die Pflegerinnen und Pfleger umso wütender über die Hinhaltestrategie der Charité. Gleichzeitig hatte die Charité das Haushaltsjahr 2014 mit einem Gewinn von 7,6 Millionen Euro abgeschlossen und es wurden weitere Einnahmesteigerungen aufgrund der Krankenhausreform der Bundesregierung erwartet.

Deshalb ging der Arbeitskampf in die nächste Runde: Am 27. und 28. April 2015 hatte es an der Charité einen zweitägigen Warnstreik gegeben. 500 Schwestern und Pfleger beteiligten sich, zur Abschlusskundgebung kamen 1.500 Leute. Die Klinikleitung musste 400 Operationen absagen, ver.di schätzte die Kosten auf eine Million Euro pro Streiktag. Am 22. Juni 2015 begann der Streikauftakt an der Charité mit einem unbefristeten Streik: Zehn Tage lang streikten hunderte Beschäftigte an der Charité für eine tarifvertragliche Regelung für mehr Personal im Krankenhaus, bis am 1. Juli ein Eckpunktepapier zwischen Gewerkschaft und Vorstand erreicht wurde. Historisch betrachtet war dies der erste Streik in einem deutschen Krankenhaus, der nicht für mehr Lohn, sondern für mehr Personal geführt wurde – im Interesse von Beschäftigten und Patient_innen. Bei diesem Streik wurde mit den Tarifberater_innen außerdem erstmals ein neues Delegiertensystem ausprobiert: Um den Verhandlungsstand in einem großen Treffen zu diskutieren und in die einzelnen Teams zurückzutragen, wurden von jeder Station Delegierte geschickt. Darüber hinaus gab es Streikversammlungen und das Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus hatte mit der „Streikuni“ politische Bildungsveranstaltungen organisiert. So fand in diesen zehn Tagen, auch aufgrund der bereits gemachten Erfahrungen in den vorangegangen Kämpfen, eine gewisse Politisierung, eine Überwindung der eigenen Individualisierung und das Spüren einer kollektiven Kraft statt.

Innerhalb der eigenen Gewerkschaft musste die Betriebsgruppe gegen Widerstände kämpfen: Der bundesweite ver.di-Apparat setzt darauf, eine Personalbemessung durch Kampagnenpolitik und Kungelei mit den unterschiedlichen bürgerlichen Parteien gesetzlich „durchzusetzen“, dagegen hat ver.di Charité nicht nur gezeigt, dass ein Streik für eine tarifvertragliche Regelung möglich ist, sondern dass dies die einzige Perspektive ist, um soziale Verbesserungen gegen Staat und Kapital durchzusetzen. Ver.di Charité hatte zwar daran gearbeitet, durch einen tariflichen Kampf und die Vernetzung mit anderen Kliniken einen Flächenbrand auszulösen, der dann auch den Druck für gesetzliche Regelungen erhöht hätte. Dennoch blieb der Kampf auf die Charité begrenzt und andere Kliniken führten ihren eigenen Kampf um Entlastung – nicht zusammen sondern jede für sich. Offensichtlich hatte der ver.di-Apparat kein Interesse an einer Ausweitung der Kämpfe.

Nach 10 Tagen Streik ging es dann in die Verhandlungen zu einem Tarifvertrag. Ein Tarifvertrag mit Quoten für Intensivpflege höchstens 1:2!, Intensivüberwachung höchstens 1:3!. Eine Quote für die stationäre Pflege konnte nicht erreicht werden (nur in der Kinderkrankenpflege 1:6,5). Aber dort, wie in den Funktionsbereichen, Psychiatrie, Radiologie und Kreißsaal sollten von den Beschäftigten Mindeststandards entwickelt werden, die erstens zu mehr Personal führen, zweitens bei drohender Unterschreitung zu Konsequenzen bis hin zum Bettensperren führen und drittens, dass niemand mehr allein im Nachtdienst ist.

Am 1. Mai 2016 trat der erste Tarifvertrag für Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung an der Charité in Kraft. In vier Jahren Tarifauseinandersetzung mit zwei Tagen Warnstreik und zehn Streiktagen hat eine kämpferische ver.di Betriebsgruppe gemeinsam mit Hunderten Kolleg_innen durchgesetzt, was viele nicht für möglich gehalten haben. Während zu Beginn der Auseinandersetzung behauptet wurde, ein solcher Tarifvertrag sei grundgesetzwidrig, haben die Kolleg_innen bewiesen, dass dafür erfolgreich gestreikt werden kann. Der Tarifvertrag galt für alle der insgesamt ca. 14.000 Beschäftigen an der Charité. 96 Prozent der bei ver.di organisierten Charité-Mitarbeiter hatte für den Arbeitskampf votiert.

Allerdings mussten die Beschäftigten erleben, dass konkrete und spürbare Entlastungsmomente im Alltag nur in geringem Maße oder gar nicht griffen. Die in 2015 durchgesetzten Regelungen zur Entlastung des Personals wurden nur unzureichend umgesetzt. Mehrfach mahnte ver.di die Charité wegen mangelnder Umsetzung des Vertragswerks ab und ließ folgerichtig den Vertrag zum 30. Juni 2017 auslaufen, da sich die Charité nicht an die Vereinbarungen hielt.

Dabei stand schon 2015 fest – und ver.di wusste dies – dass die Regeln des TV Gesundheitsschutz kaum einklagbar waren. Bis heute ist auch unklar, was mit den üppigen Geldern des Gesundheitsfonds passierte. Ein Knackpunkt am Ende war, was eigentlich eine Pflegekraft sein soll. Es wurde festgeschrieben, dass der Anteil der nicht 3-jährig Ausgebildeten nicht 8% übersteigen soll. Da dies aber niemanden interessierte, wurde die weitere Entwertung des eigentlichen Pflegeberufes fortgeführt.

Mit dem Ende der Friedenspflicht nach dem Auslaufen des Tarifvertrags rief die Gewerkschaft die Charité erneut an den Verhandlungstisch. Ver.di forderte vor allem eine Schärfung und Präzisierung der Prozesse, die greifen sollten, wenn das tarifvertraglich zugesicherte Personalniveau akut und mittelfristig unterschritten wird. Entlastungsinterventionen sollen bereits in der Dienstplangestaltung berücksichtigt werden. Die Kritik, vor allem aus dem Kreis der Pflegenden, richtete sich gegen die unzureichende Personalausstattung auf den Stationen und vielen Funktions- und Arbeitsbereichen. Verärgerung bestand über den inkonsequenten Umgang des Führungspersonals mit den im Tarifvertrag festgelegten Richtlinien; Maßnahmen zur Vermeidung bzw. zum Ausgleich von Überlastung wurden nur unzureichend bzw. oft auch gar nicht eingeleitet. Daher sollen jetzt, neben eindeutigen Besetzungsvorgaben auch konkrete Sanktionsmöglichkeiten durchgesetzt werden. Die Charité schob sämtliche Umsetzungsschwierigkeiten auf den Fachkräftemangel und war nicht bereit, weitere „gewerkschaftliche Eingriffe“ in die Unternehmensführung zu vereinbaren.

So kam es, dass ver.di am 08. August 2017 zu einem Warnstreik („Aktionsstreik“) aufrief, um den nötigen Druck für eine bessere Umsetzung des 2016 erkämpften Tarifvertrages an der Charité in den laufenden Tarifverhandlungen auszuüben. Rund 200 Pflegekräfte legten stundenweise die Arbeit nieder, Notfälle wurden behandelt, OP-Termine waren verschoben worden. „Das große Problem ist, dass Verstöße keine automatischen Konsequenzen haben... Wir brauchen ein Konsequenzenmanagement, das die Missachtung von Vereinbarungen sofort bestraft – auch finanziell.“, sagte die Intensivpflegerin Dana Lützkendorf von der ver.di-Betriebsgruppe in einer Pressemitteilung. Mit dem nun stattfindenden Arbeitskampf wollte ver.di erreichen, dass die Einhaltung gemeinsam beschlossener Regelungen einklagbar ist und die Beschäftigten jederzeit Klarheit darüber haben, mit wie vielen Kolleg_innen sie in der Schicht arbeiten müssten. Das hatte die Gewerkschaft schon bei den letzten Verhandlungen gefordert. Doch die Charité-Spitze lehnte insbesondere den Schichtbezug ab und wollte die Beschäftigten in den Verhandlungen hinhalten. Hintergrund könnte der zum 1. Oktober 2017 geplante Eintritt der Charité in den Kommunalen Arbeitgeberverband KAV gewesen sein, welcher es den Kliniken verbietet, mit der Gewerkschaft eigenständig über Entlastung zu verhandeln. „Wir werden nicht zulassen, dass sich die Charité aus der Verantwortung stiehlt“, betonte hingegen Ulla Hedemann von der ver.di-Tarifkommission, die bereits mit weiteren Arbeitsniederlegungen für zwei Wochen drohte, falls die Charité-Spitze nicht bald ernsthafte Kompromissbereitschaft zeige.

Am Montag, den 18. September 2017 war es dann so weit: Zunächst bis Freitag, den 22. September gab es einen erneuten fast einwöchigen Streik der Beschäftigten der drei Charité-Standorte. Auch wenn sich pro Tag womöglich weniger als 200 der mehr als 4000 Schwestern und Pfleger beteiligt hatten, laufen ohne diese Fachkräfte bestimmte Operationen nicht. Rund 50 Prozent der geplanten Eingriffe mussten verschoben werden, intern wurde mit bis zu 500.000 Euro Ausfällen am Tag gerechnet. Nach einer Woche Verhandlungspause sollte der Streik dann fortgesetzt werden: Für die zweite Streikwoche war die Schließung von elf Stationen und insgesamt 600 Betten konkret angekündigt. Die Beschäftigen hätten also sehr schnell bis zu einem Drittel von Europas größtem Uniklinikum lahmgelegt und dadurch einen enormen ökonomischen und politischen Druck ausgeübt. Aufgrund der großen Streikbereitschaft der Pflegekräfte konnte die Charité in einer Verhandlungsrunde am 29. September zum Einlenken gezwungen werden und weitere Streiks für die erste Oktoberwoche wurden abgesagt. Dabei musste das Streikrecht gegen vielfältige Widerstände durchgesetzt werden.

Nach einem Beschluss der ver.di-Tarifkommission am 2. Oktober wurde der Tarifvertrag wieder in Kraft gesetzt. Während in einer Charité-Mitteilung vom 04. Oktober 2017 von einer Einigung, einer Rettung des Tarifvertrages und einem Ende des Streiks die Rede war, hieß es bei ver.di: „Die Auseinandersetzung ist noch nicht beendet, sie wird jetzt nur am Verhandlungstisch geführt“. Ver.di teilte zum Beschluss der Tarifkommission mit, die Gewerkschaft sei beauftragt, „sich konstruktiv kritisch mit angemessenem Misstrauen auf einen Verhandlungsprozess einzulassen“. Bis Mitte November würden konkrete Ergebnisse erwartet. Die Bereitschaft, den Streik wiederaufzunehmen, sei allerdings weiter hoch, die Gewerkschaft hatte sich weiterhin alle Möglichkeiten offen gehalten, da für den Tarifvertrag ein Sonderkündigungsrecht galt, das bereits im November 2017 genutzt werden könnte, um den Druck schnell wieder zu erhöhen.

Zum 1. Oktober 2017 ist die Charité außerdem in den Kommunalen Arbeitgeberverband eingetreten, was zunächst die Bezahlung der Beschäftigten nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) bedeutete. Darüber hinaus ist es aber das Ziel der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), eigenständige Haustarifverträge zu unterbinden. Die Befürchtung, dass die Charité dies nutzen könnte, den Tarifvertrag „Gesundheitsschutz und Demografie“ der Charité zur Entlastung der Pflegekräfte zu verhindern, ist aber nicht eingetreten.

Die Laufzeit des Tarifvertrags „Gesundheitsschutz und Demografie“ war zunächst bis Ende 2018 geplant und wurde dann bis 31. Dezember 2020 verlängert und ist dann ausgelaufen.

Die Kampagne „Berliner Krankenhausbewegung“

Für das Jahr 2021 hat ver.di die Kampagne „Berliner Krankenhausbewegung“ gestartet, u.a. mit dem Ziel, einen neuen Entlastungstarifvertrag für die Charité-Pflegekräfte durchzusetzen. In einer Erklärung heißt es: „Gemeinsam machen sich die Krankenhausbeschäftigten von der Charité, Vivantes und den Tochterunternehmen mit vielen Unterstützer*innen aus ganz Berlin auf den Weg, um 2021 zum Entscheidungsjahr über die Berliner Gesundheitsversorgung zu machen [...] Eine gute Gesundheitsversorgung geht nur mit guten Arbeitsbedingungen, ausreichend Zeit und Personal. Die Corona-Krise hat die Probleme des Personalmangels in den Krankenhäusern sichtbarer gemacht, als je zuvor. Darum ist das Ziel ein Tarifvertrag Entlastung bei der Charité und bei Vivantes mit verbindlichen Vorgaben zur Personalbesetzung und einem Belastungsausgleich bei Unterbesetzung.“ Dabei sollen die Kämpfe im Pflegebereich mit denen in den ausgegliederten Servicegesellschaften verbunden werden: „Nach wie vor gibt es bei den Tochterunternehmen von Vivantes in der Reinigung, im Labor, in der Speiseversorgung, im Patiententransport und vielen weiteren Bereichen Beschäftigte ‚zweiter Klasse’, die endlich faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen fordern: Faire Löhne und TVöD für alle Beschäftigten!“

Zum Auftakt der Kampagne fand am 27. April eine Videokonferenz der Berliner Krankenhausbewegung mit über 400 Teilnehmer_innen statt. Im Bündnis sind neben den ver.di-Betriebsgruppen viele andere Gruppen vertreten wie das Bündnis „Gesundheit statt Profite“, Einzelunterstützer_innen sowie lokale Bündnisse. Ein Ziel der Kampagne ist es, die Forderungen an Abgeordnete und Wahlkandidaten heranzutragen.

Wegen der Pandemie fanden am 12. Mai, zum internationalen Tag der Pflege, dezentrale Aktionen statt, die sich zu einer Demonstration mit etwa 1.000 Teilnehmer_innen vereinigten. Am Roten Rathaus wurde dann eine Petition mit 8.397 Unterschriften, die in den Kliniken gesammelt wurden, an den Senat übergeben. Es wurde gegen die Überlastung protestiert, die durch die Corona-Situation weiter zugenommen hat sowie gegen die schlechte und ungleiche Bezahlung der Beschäftigten. Außerdem wurde der Landesregierung ein Ultimatum gestellt, die Forderungen innerhalb von 100 Tagen zu erfüllen. Sollten der Berliner Senat und die Klinikleitungen nicht reagieren wurde für den 20. August ein Streik angedroht – wenige Wochen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag am 26. September. Es geht also um TVÖD für alle und um eine Entlastung der Arbeiter_innen im Krankenhaussektor.

Fazit

Auch wenn die Kampagne zum Redaktionsschluss unserer Zeitung Anfang August noch nicht abgeschlossen war, müssen wir diese eher kritisch bewerten. Positiv an dieser Kampagne ist zweifellos die Tatsache, dass die Pflegekräfte von Charité und Vivantes gemeinsam für eine Entlastung und darüber hinaus die Beschäftigten der Servicegesellschaften beider Klinikgesellschaften für eine bessere Bezahlung entsprechend dem Tarifvertrag TVÖD kämpfen. Da die Charité-Servicegesellschaft (CFM) bereits im Vorfeld einen Tarifvertrag unterhalb von TVÖD abgeschlossen hatte, blieb sie bei dieser Kampagne außen vor. Weiterhin positiv ist, dass versucht wurde, unterschiedliche Akteure und Bündnisse z.B. in den Stadtteilen in die Proteste einzubeziehen und diese somit zu verbreitern.

Negativ ist jedoch insbesondere, dass es sich hier um die typische Art einer Kampagnenpolitik handelt, wie wir sie von den DGB-Gewerkschaften gewohnt sind. Es wird auf Unterschriftenlisten, Wahlen, Regierungen und Politiker_innen fokussiert, es wird die Illusion geschürt, dass diese oder jene Regierung etwas grundlegend besser machen würde, als die bisherige, wenn nur vor den Wahlen genügend Druck ausgeübt und tausende Unterschriften gesammelt werden würden.

Der Fokus müsste aber – gerade bei originären Arbeitskämpfen – auf dem Kampfmittel liegen, das den höchsten wirtschaftlichen Schaden verursacht und den stärksten Druck ausüben kann: den Streik. Nur wenn dieser konsequent geführt wird, unbefristet, ohne Rücksicht auf „Sachzwänge“, können Verbesserungen durchgesetzt werden. Das schließt natürlich andere Kampfformen wie öffentliche Kundgebungen oder die Einbeziehung anderer Initiativen nicht aus und selbst der Bezug auf Wahlen, nicht im konstruktiven Sinne, sondern indem den bürgerlichen Parteien von rechts bis „links“ bei ihrem Wahlzirkus ein Strich durch die Rechnung gemacht wird, indem mitten im Wahlkampf „alle Räder stillstehen“, wäre sinnvoll. Nur so können Verbesserungen durchgesetzt werden – und nicht durch eine phrasenhafte und zahnlose Symbolpolitik, die niemanden interessiert und lächelnd ignoriert wird. Während andere soziale Proteste wie die gegen die steigenden Mieten oftmals keine anderen Aktionsformen wie Demonstrationen haben, ist es gerade bei einem Arbeitskampf absolut unverständlich, auf wirksame Streiks zu verzichten. Aber dies ist die Politik, die wir seit Jahrzehnten von den Regime-Gewerkschaften gewohnt sind und hier gilt es eine andere, eine kämpferische Perspektive aufzumachen.

Wenn wir nun von der Kampagne zurückkommen auf den Kampf der Pflegekräfte bei der Charité, dann können wir im Grundsatz dieselbe zaghafte Gewerkschaftspolitik wiedererkennen. Von anfänglichen Versuchen, das Thema Arbeitsentlastung aufzugreifen, was zweifellos erstmal positiv ist, über eine zehn Jahre andauernde Hoffnung, dass sich etwas grundlegend ändert, mit all den unverbindlichen Einigungen mit der Klinikleitung. Hier und da gab es Streiks (in der Summe waren das gar nicht wenige), aber nie mit einem wirklichen Ergebnis. Die Beschäftigten selber, mit denen wir geredet haben, wissen selber nicht genau, was wann gerade der aktuelle Stand war oder ist, weil es konkret zu keinem Zeitpunkt wirklich spürbar war, ob es nun einen neuen Abschluss gab oder nicht. Das ist am Ende demoralisierend und demobilisierend für die Pflegekräfte bei der Charité und offenbar geht es eher um ein „demokratisches“ Druck rauslassen und öffentlich schimpfen dürfen, wie schlimm die Arbeitsbedingungen sind.

Wenn wir nicht wüssten, dass ver.di über einen perfekt organisierten Apparat, Rechtsanwälte und große finanzielle Mittel verfügt, müssten wir fast von Naivität bei der Formulierung der Verträge (ohne Sanktionsmöglichkeiten!) ausgehen und uns wundern, dass keine „Bilanz“ aus den Kämpfen gezogen wurde – von außen betrachtet wirkt das Vorgehen von ver.di eher etwas hilflos. Vielleicht glaubt man tatsächlich, durch Betteln und gutes Zureden etwas erreichen zu können. Aber wie schon ein paar Zeilen weiter oben geschrieben: „Dies ist die Politik, die wir seit Jahrzehnten von den Regime-Gewerkschaften gewohnt sind!“

Trotzdem dürfen die Beschäftigten im Pflegebereich den Kopf nicht hängen lassen: All die Arbeitskämpfe bei der Charité, bei Vivantes und in vielen anderen Städten innerhalb von Deutschland (und international), um all die aufzuzählen der Platz hier nicht reicht, zeigen die Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft unserer Klasse und dass es sich trotz der mageren Ergebnisse lohnt, gemeinsam zu kämpfen. Außerdem werden hier wichtige Erfahrungen für weitere Kämpfe und den langen Weg, der noch vor uns liegt, gemacht.

Nur durch eine Zunahme der Kampfdynamik, aus der neue gewerkschaftliche Strukturen innerhalb und außerhalb der bestehenden Gewerkschaften entstehen können, entsteht eine Perspektive, in der die Arbeiter_innenklasse sich seiner Kraft wieder bewusst wird und dem allgemeinen Angriff von Staat und Kapital mit einem Gegenangriff entgegentreten kann, indem sie unversöhnlich ihre eigenen Interessen vertritt und durchsetzt. Zusätzlich zu dieser ökonomischen Perspektive muss die Klasse zu einer politischen Perspektive, ihrer historischen Aufgabe zurückfinden. Hierfür muss sie ihre Klassenpartei aufbauen.

Das System der Fallpauschalen

Das System der Fallpauschalen wurde 2004 unter der „linken“ rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt und eines der zentralen Instrumente zur Privatisierung des Gesundheitssektors und einer der wesentlichen Gründe für die aktuellen Missstände im Gesundheitswesen.

Unter Fallpauschale versteht man in der Gesundheitsökonomie die Bewertung bzw. Vergütung komplexer medizinischer Leistungen durch Fixbeträge nach dem DRG-System („diagnosis related groups“). Dabei wird der durchschnittliche Kostenaufwand für eine bestimmte Behandlung von Patienten mit einer bestimmten Diagnose festgelegt als Grundlage für die Vergütung der Krankenhäuser. Das DRG-System gilt für alle voll- und teilstationären Leistungen außer für die Psychiatrie und nicht für ambulante Behandlungen. Somit gehen in die DRG-Kalkulation die laufenden Kosten der stationären Behandlungsfälle ein, aber keine Vorhaltekosten und keine Investitionen. Außerdem wird wie der Name sagt nur eine Pauschale bezahlt und nicht die tatsächlich entstandenen Kosten, wenn eine Behandlung beispielsweise komplizierter ist als erwartet. Außerdem führt das DRG-System zu der absurden Situation, dass sich bestimmte Behandlungen, z.B. eine Geburt, gerade für kleinere oder weniger spezialisierte Kliniken nicht mehr rentieren, weil die „Fälle“ dort nicht wie am Fließband abgearbeitet werden können. Die Folge ist eine schlechtere Versorgung in der Fläche und so müssen z.B. Schwangere gerade auf dem Land oftmals eine Stunde mit dem Auto bis zum nächsten Kreißsaal fahren, wenn die Wehen einsetzen. Die Broschüre „Krankenhaus statt Fabrik schreibt: „mit Einführung der DRG wurde die Gewinnerzielung durch die Behandlung stationärer Patient*innen nicht nur zugelassen, sondern zur Ankurbelung des Wettbewerbs ausdrücklich begrüßt.“ Der gestiegene Kostendruck sowohl durch die Fallpauschalen selbst als auch durch die Privatisierungen der Kliniken führt nicht nur zu einer schlechteren Versorgung für die Patient_innen sondern auch zu einem Kostendruck gegenüber den Beschäftigten, v.a. Arbeitsverdichtungen und Lohnkürzungen, die Auslagerung bestimmter Tätigkeiten wie Reinigung und Essenszubereitung in Servicegesellschaften usw.

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