WAS UNSERE PARTEI KENNZEICHNET: Die politische Kontinuität von Marx zu Lenin bis zur Gründung der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Italiens (Livorno 1921); der Kampf der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale, gegen die Theorie des “Sozialismus in einem Land” und die stalinistische Konterrevolution; die Ablehnung von Volksfronten und des bürgerlichen Widerstandes gegen den Faschismus; die schwierige Arbeit der Wiederherstellung der revolutionären Theorie und Organisation in Verbindung mit der Arbeiterklasse, gegen jede personenbezogene und parlamentarische Politik.


 

Vor einhundert Jahren, im Januar 2021, wurde die Kommunistische Partei Italiens gegründet. Wenn wir uns mit diesem historischen Ereignis beschäftigen, dann nicht aus Rückwärtsgewandtheit und Nostalgie – gerade das behandelte Thema zeigt, dass es keine „heroische Geschichte“ gibt. Die Geschichte beruht nicht auf Willensakten, sondern ist, wie der historische Materialismus bewiesen hat, bestimmt durch die materiell determinierte Verfasstheit der Gesellschaft und ihre Entwicklung. Es ist die Aufgabe der Kommunistischen Partei, diesem historischen Prozess Rechnung zu tragen und ihm damit zum Durchbruch zu verhelfen. Ihr „Termin mit der Geschichte“ materialisiert sich im revolutionären Kampf des Proletariats. Gerade die nach dem revolutionär beendeten Ersten Weltkrieg gesammelten Erfahrungen und publizierten Dokumente aus den ersten Jahren der Kommunistischen Partei Italiens lassen im Brennglas die Höhen und Tiefen der kommunistischen Bewegung des 20. Jahrhunderts sichtbar werden. Grundlegende Lehren der Taktik haben das invariante kommunistische Programm präzisiert und der Kampf gegen die immer noch andauernde (stalinistische – in letzter Konsequenz sozialdemokratische) Konterrevolution hat damals richtungsweisend begonnen.

Es wundert nicht, dass das „Jubiläum“ alle demokratischen und stalinistischen Entstellungen der Gründungsphase dieser Partei, die damals zu den einflussreichsten sozialistischen Parteien in Westeuropa zählte, wieder auf die Tagesordnung bringt. Beispielhaft seinen zwei Artikel erwähnt, die im Januar in der Tageszeitung „Junge Welt“ erschienen. Der ehemalige DDR-Korrespondent in Rom Gerald Feldbauer, der als „Italienexperte“ die immer gleichen Phrasen der stalinistischen Geschichtsschreibung wiederkäut, schrieb am 21. Januar 2021 (wie schon 15 Jahre zuvor) auf der JW Themenseite einen (weitgehend identischen) „Hintergrundartikel“. Auch wenn er die Rolle von Gramsci und Togliatti und ihrer Gruppe „Ordine Nuovo“ als quasi Begründer der Kommunistischen Partei von Italien (die erst unter dem Nationalkommunisten Togliatti in Italienische Kommunistische Partei umbenannt wurde) maßlos überhöht, kommt er an der Linken, die damals die Partei führte, nicht vorbei. Im typischen Stil eines „kurzen Lehrgangs“ schreibt er: „Zum Generalsekretär wurde Amadeo Bordiga gewählt, der entscheidend zu den Antikriegspositionen des PSI beigetragen hatte. Er setzte sich aktiv für eine revolutionäre Basisarbeit ein, trat jedoch gegen eine Teilnahme an Wahlen auf und lehnte Formen des parlamentarischen Kampfes ab. Er verkannte die faschistische Gefahr und die Notwendigkeit der von Gramsci nach dem Machtantritt Mussolinis im Oktober 1922 vertretenen breiten antifaschistischen Bündnispolitik. Wegen seines Sektierertums und der Massenentfremdung wurde er 1926 aus dem ZK ausgeschlossen.“ Ebenfalls den demokratischen Liebling Gramsci in den Mittelpunkt stellend, aber eloquenter im Stil, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Sabine Kebir einen Tag später auf der JW-Themenseite: „Die 1921 entstandene Kommunistische Partei Italiens orientierte unter ihrem ersten Sekretär Bordiga auf eine kleine Kaderpartei, die eine baldige Revolution und die Errichtung eines sozialistischen Staates nach dem Vorbild Russlands ansteuerte. […] Anders als Bordiga hatte Gramsci schon 1922 erkannt, dass die Durchsetzung von Sozialismus in Industrieländern mit alphabetisierter Arbeiterschaft, die sich bereits eine Teilhabe am bürgerlich-demokratischen System erkämpft hatte (die der Faschismus mit brutalsten Mitteln allerdings wieder rückgängig machte), nicht mehr wie in Russland durch Staatsstreich möglich war.“ Die proletarische Revolution als Staatsstreich diffamierend, setzt Kebir auf zivilgesellschaftliche Aufklärung und gegenkulturelle Souveränität. Während sie die revolutionäre Phase der PCd’I als „linksradikal und sektiererisch“ dämonisieren, sind die Bezugspunkte der kapitalistischen Linken klar: Kulturelle Aufklärung, antifaschistische Bündnispolitik, Verteidigung der bürgerlichen Demokratie (d.h. der Diktatur des Kapitals) – D.h. eine konterrevolutionäre Politik, die die Italienische Kommunistische Partei nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bravour durchgeführt hat.

Doch kommen wir zu den historischen Fakten der revolutionären und kommunistischen Anfangszeit der PCd’I.

Die Sozialistische Partei Italiens und der Erste Weltkrieg

Anders als die meisten anderen Parteien der 2. Internationale (u.a. die SPD), unterstützte die erst 1892 entstandene Sozialistische Partei Italiens (PSI), die sich schon 1912 angesichts des Libyen-Krieges von ihren bellizistisch-nationalistischen Mitgliedern getrennt hatte, nicht die Kriegspolitik und stimmt gegen die Kriegskredite. Sie nahm allerdings eine schwankende Haltung ein, die durch die Losung „Weder mitmachen noch sabotieren“ geprägt war und einen Kompromiss zwischen rechten und linken Sozialdemokraten darstellte.

Während die PSI zu Kriegsbeginn mit ihrer Forderung nach Neutralität durchaus offene Türen bei der italienischen Bourgeoisie eingerannt hatte, stimmte sie 1915 gegen die von der Regierung geforderten Vollmachten zur Mobilmachung und stellte sich gegen ihren abtrünnigen ehemaligen Funktionär Mussolini, der schon 1914 einen Kriegseintritt gefordert hatte. (Die ersten „Faschisten“ waren kriegsbegeistert gewordene Sozialisten, Syndikalisten und Anarchisten.) Vertreter der italienischen Sozialisten nahmen an den sozialistischen Antikriegskonferenzen in Zimmerwald und Kienthal teil.

Während Bordiga – wie die Bolschewiki - im November 1917 auf einer geheimen Tagung der „revolutionär-kompromisslosen“ Strömung der Sozialistischen Partei in Florenz die revolutionäre Nutzung der Kriegskrise propagierte (Umwandlung des Staatenkrieges in einen Bürgerkrieg) rief der reformistische Flügel der Partei um Turati nach einer militärischen Niederlage der italienischen Streitkräfte am Monte Grappa zur Vaterlandsverteidigung auf und erklärt die Verteidigung des eigenen Bodens und der Unabhängigkeit (gegen die monarchistischen Mittelmächte) zur demokratischen Aufgabe der Sozialisten.

Gramsci nahm während des Krieges eine indifferente Stellung ein. (Laut des 1970 erschienenen lesenswerten Buches von Christian Riechers „Antonio Gramsci, Marxismus in Italien“ nimmt er an der erwähnten Konferenz in Florenz teil, äußert sich nicht, soll aber mit Bordigas Position sympathisiert haben). Statt für die Zuspitzung des Klassenkampfes zu wirken, ging es Gramsci jedoch vor allem um intensive kulturelle Erziehung der Individuen. So gründete er im Dezember 1917 einen „ Club di vita morale“ als intellektuelle und moralische Gemeinschaft. - Dies wird übrigens von Kebir positiv angeführt, die in ihrem zitierten Artikel allerdings die Turiner Rätebewegung von 1919 auf 1917 vordatiert, um diesen persönlichen Rückzug Gramscis in einen „revolutionären“ Kontext zu rücken. - Für Gramsci stand der Kulturzweck der Organisation im Mittelpunkt. „Die Organisation hat den hauptsächlichen Zweck, zur Uneigennützigkeit zu erziehen“, zitiert Riechers Gramsci und führt diese Haltung auf eine „Reduktion des Marxismus auf den Idealismus“ zurück. (S. 49ff.)

Ende 1918 bildete die Linke in der PSI die kommunistisch-wahlboykottistische Fraktion mit der Parteizeitung „Il Soviet“, die u.a. von Bordiga in Neapel herausgegeben wird. Erst im Mai 1919 gründeten Gramsci, Togliatti u.a. in Turin die Zeitschrift „L’Ordine Nuovo“. Beide bildeten im Herbst 1920 in Imola die „kommunistische Fraktion der PSI“, den Kern der späteren PCd’I.

Über das Wirken von Gramsci schrieb die kommunistische Linke 1926 rückblickend: „Die Gruppe ‘Ordine Nuovo’ entstand in Turin unter einigen Intellektuellen, die sich mit den proletarischen Massen der Industrie in Verbindung setzten, als die wahlboykottistische Fraktion in dieser Stadt bereits eine breite Anhängerschaft hatte. In der Ideologie jener Gruppe herrschten bürgerliche, idealistische, von Croce beeinflußte philosophische Anschauungen vor, welche natürlich in einem Änderungsprozess begriffen waren und sind. Erst sehr spät und mit ihren Ursprungsfehlern behaftet beschäftigte sich diese Gruppe mit den kommunistischen Richtlinien. Erst viel zu spät für eine nutzbringende Anwendung auf den Kampf des italienischen Proletariats hat diese Gruppe die Bedeutung der russischen Revolution verstanden. Im November 1917 veröffentlichte Genosse Gramsci im ‘Avanti!’ einen Artikel, in dem er behauptete, die russische Revolution hätte den historischen Materialismus von Marx und die Theorien des ‘Kapital’ widerlegt, und gab eine wesentlich idealistische Erklärung der russischen Ereignisse.“ (zitiert nach Kommunistische Programm Nr.14, Mai 1977, S. 27)

Die sog. revolutionär-kompromisslose Strömung, die nach der Bildung der kommunistisch-wahlboykottistischen Fraktion eigentlich nur noch eine zentristische Strömung war, hatte am Ende des Krieges die unbestrittene Führungsrolle in der PSI. Ihr führender Repräsentant war der „Maximalist“ Serrati. Sein „Verdienst“ bestand darin, den heterogenen Zustand der sozialistischen Partei zu konservieren, indem er einerseits eine Antikriegshaltung repräsentierte, die ihn an die Seite Lenins in Zimmerwald und Kienthal geführt hatte (aber auch den Mythos der konsequenten Antikriegshaltung der PSI schuf) und die russische Revolution begrüßte, andererseits aber die organisatorische Einheit mit den Reformisten, die ihr Zentrum in der Parlamentsfraktion hatten, verteidigte (der Mythos einer starken, gemeinsamen PSI). Welche Blüten diese opportunistische Einheit trieb, wird an folgendem Beispiel deutlich. Während der Parteivorstand auf seiner ersten Sitzung nach dem Krieg Ende 1918 das Ziel der Errichtung der Diktatur des Proletariats in sein Aktionsprogramm schrieb, bekannte sich eine Versammlung sozialistischer Parlamentarier in Mailand zu der „klassischen und grundsätzlichen Auffassung, der zufolge die Errichtung eines sozialistischen Regimes weder durch einen Handstreich noch durch wunderbare geschichtliche Vorwegnahmen erfolgen kann, sondern erreicht werden muß durch die stufenweise Erringung der Macht und der politischen Fähigkeit der großen Massen, sie in allen technischen, wirtschaftlichen, verwaltungsmäßigen, nationalen und internationalen Bereichen auszuüben.“ Veröffentlicht wurde diese klassisch reformistische Erklärung am 15. Januar 1919 im „Avanti!“, also genau an jenem Tag, als in Deutschland die Mitbegründer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Auftrag der SPD-Führung von Freikorps ermordet wurden.

Die in der italienischen Arbeiterklasse und der sozialistischen Partei zu dieser Zeit weit verbreitete Begeisterung für die russische Revolution und die Rätediktatur beruhte mehr auf einem diffusen Gefühl denn auf theoretischer Klarheit, zumal aufgrund des russischen Bürgerkrieges und der imperialistischen Blockade die direkten Kontakte (aber auch präzise Informationen und theoretische Dokumente) fehlten.

Italien, das zwar zu den „Siegermächten“ des Ersten Weltkrieges gehörte, befand sich am Ende des Krieges trotzdem in einer wirtschaftlichen Krise, die jener der Mittelmächte in nichts nachstand. Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen und Elend führten zu einer zunehmenden sozialen Unruhe, die der Historiker Helmut König in seiner (zwar bürgerlich-sozialdemokratisch interpretierten, aber beeindruckend faktenreichen) 1967 erschienenen Abhandlung „Lenin und der Italienische Sozialismus 1915 – 1921“ anschaulich beschreibt: „Der aufgestaute Unmut über die rasch zunehmende Teuerung entlud sich zuerst in Forli (...), wo am 30. Juni 1919 der Streik ausgerufen, der Markt und Lebensmittelgeschäfte geplündert und zerstört wurden. Von der Romagna sprang die Bewegung auf die Emilia, die Marken, Umbrien und die Toskana über, schließlich auch nach Sizilien. Am 4. Juli 1919 herrschte in Ancona, Bologna und Palermo Generalstreik; in Florenz waren die Massen Herren der Stadt. Überall in den bestreikten Gebieten bildeten sich örtliche Sowjets, die die vorhandenen Lebensmittelvorräte zu beschlagnahmen, zu registrieren und deren Verteilung zu regeln begannen. Eingeschüchtert durch die Plünderungen, Requisitionen und Zerstörungen, trugen Geschäftsleute freiwillig die Schlüssel ihrer Verkaufsräume zum Sitz der örtlichen Sowjets – meist das Volkshaus oder die Arbeiterkammern – und stellten sich unter deren Schutz. Die lokalen Sowjets fingen an Verwaltungsfunktionen zu übernehmen. Im Bisenzio-Tal bei Florenz bildete sich eine ‘Sowjetrepublik’, die nach dreitägigem Widerstand von Carabinieri-Truppen aufgelöst wurde. In anderen Orten dagegen, so in Brescia, Forli und Sestri Ponente, verweigerten die Truppen den Gehorsam und verbrüderten sich mit den Massen. Am 6. Juli 1919 schließlich wurden in Mailand 200 Geschäfte geplündert. (…) Sowohl die sozialistische Partei- wie die Gewerkschaftsführung waren von der spontanen Welle von Streiks und Unruhen überrascht worden. Sie hatten sie weder gewollt noch geschürt.“ (S.38f.)

War das schon eine revolutionäre Situation? Von einem klaren Verständnis des Verhältnisses von Partei und Klasse ausgehend, charakterisierte Bordiga rückblickend in einem Interview, das 1970 kurz vor seinem Tod geführt wurde, diese Situation zu Kriegsende: „Da ja selbst die Partei das kollektive Bewusstsein auf breiter Front verloren hatte, konnte die unvermeidliche und flächendeckende Unzufriedenheit bei den Arbeitermassen nicht zur Folge haben, jenes Bewusstsein wiederzugewinnen; die Reaktion auf die Nachkriegssituation bestand vielmehr in der Rückkehr zu Forderungen und Rebellionen für unmittelbare ökonomische Verbesserungen, etwas, was zwar den Boden unter den Füßen der Bourgeoisie erzittern ließ, aber nicht schon deswegen in den Proletariern das notwendige Potential weckte, um den bewaffneten Kampf für den Sieg ihrer Diktatur aufzunehmen.“ Vor dem historischen Hintergrund des endgültigen Verrats der sozialistischen 2. Internationale und zunehmender Arbeiterkämpfe erklärte Bordiga die Notwendigkeit der Wiedererlangung dieses kollektiven Bewusstseins der Klasse (der historischen Partei), durch die Wiederaufrichtung der prinzipienfesten, formalen Partei: „Es war damals also der wirkliche Moment und entscheidende Wendepunkt, um die proletarische und sozialistische Bewegung wieder aufzurichten, indem ihre wahren theoretischen, programmatischen und strategischen Grundlagen wiederhergestellt werden. Dieser Aufgabe wandten sich Lenin und die Kommunistische Internationale (KI) ohne zögern zu, und mit ihnen die Linke der italienischen Bewegung, die alle Voraussetzungen erfüllte, und noch immer erfüllt, um der historischen Linie der mit dem ‘Manifest’ von 1848 begonnenen antikapitalistischen Weltrevolution folgen zu können.“ (ebenda)

Die Assoziation der PSI mit der Komintern und die Herausbildung der PCd’I

Schon im März 1919 hatte sich die Sozialistische Partei Italiens der nur zwei Wochen vorher gegründeten Kommunistischen Internationale zugehörig erklärt. Dieser Schritt entsprach allerdings mehr der Ablehnung der damaligen Rekonstruktionsversuche der Zweiten Internationale durch die diskreditierten Sozialchauvinisten, denn einer klaren Kenntnis der von den Bolschewiki vertretenen kommunistischen Positionen. Dieser für die Außenwirkung der neuen Internationale bedeutsame Schritt fiel in ihre Anfangszeit, in der sie zwar das Banner der proletarischen Weltpartei wieder erhoben hatte, allerdings zu dieser Zeit „vornehmlich ein Organ der Propaganda und Agitation war“, wie sich Sinowjew später erinnerte. Sie war „darauf angewiesen, durch Funksprüche Aufrufe und Grußbotschaften in die Welt hinauszusenden und durch das Abhören ausländischer Sender und die Lektüre gelegentlich eingeschmuggelter ausländischer Zeitungen zu erfahren, was in der Welt draußen vor sich ging.“ (König, S.46)

Auf ihrem ersten Nachkriegsparteitag in Bologna im Oktober 1919 trat die Sozialistische Partei Italiens dann offiziell der Kommunistischen Internationale bei. Die in der PSI für die Durchsetzung der kommunistischen Prinzipien wirkende kommunistisch-wahlboykottistische Fraktion, blieb in der Frage des Boykotts der kommenden Wahlen auf dem Parteitag in der Minderheit. Ihr Hauptziel war allerdings die Trennung von den Reformisten, die sich jetzt „Fraktion der sozialistischen Konzentration“ nannten. Dies wurde von den Zentristen um Serrati, der maximalistisch-elektionistischen Fraktion jedoch abgelehnt. Dieses Wirken Bordigas wurde von Lenin in seiner zum Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1920 erschienenen Schrift „Der ‘linke Radikalismus’ die Kinderkrankheit im Kommunismus“ ausdrücklich begrüßt. Lenin stellte dort fest, „wie recht Genosse Bordiga und seine Freunde von der Zeitung ‘Il Soviet’ haben, wenn sie fordern, dass die Italienische Sozialistische Partei, falls sie in Wirklichkeit für die III. Internationale sein will, die Herren Turati und Co. mit Schimpf und Schande aus ihren Reihen verjagen und sowohl ihrem Namen als auch ihren Taten nach eine Kommunistische Partei werden muss.“

Ohne Kenntnis der aktuellen Schriften der Bolschewiki, aber auf denselben theoretischen Grundlagen des revolutionären Marxismus wirkend, vertraten die Genossen um Bordiga weitgehend die gleichen Positionen wie die Bolschewiki und nahmen die erst auf dem Zweiten Weltkongress der Komintern beschlossenen Aufnahmebedingungen der Internationale in ihren politischen Äußerungen vorweg. Dies bezeugen die im Mai 1920 veröffentlichten Thesen der kommunistisch-wahlboykottistischen Fraktion der PSI. Hier werden Rolle und Aufgaben der Kommunistischen Partei klar definiert: „Dieser revolutionäre Kampf ist der Kampf der ganzen proletarischen Klasse gegen die ganze bürgerliche Klasse. Sein Instrument ist die politische Klassenpartei, die kommunistische Partei. Die kommunistische Partei verwirklicht die bewusste Organisation jener Vorhut des Proletariats, die begriffen hat, dass man die Interessen einzelner Gruppen, Berufszweige oder Nationalitäten überwinden muss, dass man die begrenzten Vorteile und Errungenschaften, die das Wesen der bürgerlichen Struktur nicht verletzen unter das Endziel des Kampfes unterordnen muss, um die eigene Aktion zu vereinigen. Erst die Organisation als politische Partei ermöglicht folglich die Bildung des Proletariats zur Klasse, die für ihre Befreiung kämpft.“ (These I/6, zitiert nach Kommunistisches Programm Nr. 14, Januar 1977, S.15)

Die Reformisten werden als Komplizen der Bourgeoisie (und nicht als Bestandteil der Arbeiterbewegung) entlarvt: „Wer die Auffassung vertritt, dass die kapitalistische Ausbeutung unter dem Druck der Vertreter der proletarischen Partei innerhalb der Staatsorgane oder unter dem Druck von Massenkundgebungen durch Gesetzesänderungen und Reformmaßnahmen der bestehenden politischen Institutionen schrittweise gemildert und schließlich abgeschafft werden kann, macht sich zum Komplizen der Bourgeoisie, zum Komplizen der Verteidigung ihrer Privilegien – denn zuweilen gibt die Bourgeoisie einen winzigen Teil ihrer Privilegien scheinbar ab, um die Unzufriedenheit der Massen zu beschwichtigen und deren revolutionären Kampf von den Fundamenten des kapitalistischen Regimes abzulenken.“ (These II/13, ebenda S.20)

Die kommunistisch-wahlboykottistische Fraktion verteidigte in ihren Thesen das historische Programm der proletarischen Revolution auch gegen jede mit der demokratischen Illusion verbundene Zahlen-Arithmetik als vermeintliche Legitimation des Handelns. (Eine Illusion, die leider auch in der deutschen Linken - z.B. bei Rosa Luxemburg - vertreten war.): „Die Propaganda und die Rekrutierung sind wesentliche Tätigkeiten der Partei, die vor der Aufnahme von neuen Mitgliedern die höchste Sicherheit verlangt. Die kommunistische Bewegung stützt den Erfolg ihrer Aktion auf die Verbreitung ihrer Prinzipien und Ziele und kämpft im Interesse der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft. Sie macht aus der Zustimmung der Mehrheit jedoch keine Vorbedingung ihres Handelns. Der Maßstab für den günstigen Zeitpunkt für die Durchführung von revolutionären Aktionen liegt in der objektiven Einschätzung der eigenen und der gegnerischen Kräfte mit ihren vielen zusammenwirkenden Faktoren, worunter die Zahl weder der einzige noch der wichtigste ist.“ (These III/3, ebenda S.21)

Gleichzeitig wird in den Thesen die Unbrauchbarkeit der parlamentarischen Taktik in der revolutionären Epoche erklärt: „Die Teilnahme an den Wahlen für die Organe der bürgerlichen Demokratie und die parlamentarische Tätigkeit bergen in jeder Epoche die ständige Gefahr von Abweichungen in sich. In jener Periode, in der sich die Möglichkeit des Sturzes der bürgerlichen Herrschaft noch nicht abzeichnete und die Aufgabe der Partei auf die Kritik und Opposition beschränkt war, konnten sie jedoch für die Propaganda und die Bildung der Bewegung benutzt werden. In der heutigen Periode, die durch das Ende des Weltkrieges, die ersten kommunistischen Revolutionen und die Entstehung der Dritten Internationale eröffnet wurde, setzen die Kommunisten die revolutionäre Eroberung der Macht als direktes Ziel der politischen Aktion des Proletariats aller Länder; alle Kräfte und die gesamte Vorbereitungsarbeit müssen diesem Ziel gewidmet werden. In dieser Periode ist jede Teilnahme an den Vertretungsorganen der bürgerlichen Demokratie unzulässig. Diese Organe treten als ein mächtiges Verteidigungsmittel der Bourgeoisie gegen das Proletariat und selbst in den Reihen des Proletariats auf; als Gegensatz zu deren Struktur und Funktion verfechten die Kommunisten das System der Arbeiterräte und die Diktatur des Proletariats. Aufgrund der großen Bedeutung, die die Wahltätigkeit der Sozialistischen Partei Italiens in der Praxis einnimmt, kann sie unmöglich mit der Behauptung in Einklang gebracht werden, sie sei nicht das Mittel, um die Machteroberung, den Hauptzweck der Parteiaktion, zu erzielen; es ist außerdem unmöglich zu vermeiden, dass sie die gesamte Tätigkeit der Bewegung in Anspruch nimmt und so von der revolutionären Vorbereitung abbringt.“ (These III/7, ebenda S.21)

Zur praktischen Illustrierung ihrer antiparlamentarischen Position konnte die kommunistische Linke auf die Folgen des triumphalen Wahlerfolgs der Sozialistischen Partei im November 1919 verweisen, der vor allem der reformistischen Fraktion in der PSI Auftrieb gegeben hatte. „Turati, Treves, Modigliani und andere Vertreter des reformistischen Flügels waren ins Parlament zurückgekehrt und nahmen dank ihrer Erfahrung, ihres Wissens und ihrer rednerischen Begabung in der sozialistischen Fraktion eine führende Stellung ein.“ (König, S.58)

In dieser – und nur in dieser! - Frage stand Bordiga allerdings wirklich im Widerspruch zu Lenin. Genauso wie die Zentristen um Serrati in dieser – und nur in dieser! - Frage mit den Bedingungen der Kommunistischen Internationale übereinstimmten. In seiner eben schon zitierten Schrift über den „linken Radikalismus“ schrieb Lenin: „Aber Genosse Bordiga und seine ‘linken’ Freunde ziehen aus der richtigen Kritik an den Herren Turati und Co. den falschen Schluss, dass eine Beteiligung am Parlament überhaupt schädlich sei.“ Und zu Serrati merkte er dort an: „Natürlich machen Gen. Serrati und die gesamte Italienische Sozialistische Partei dadurch, dass sie das dulden [die Parteimitgliedschaft der Reformisten], einen Fehler, der ebenso großen Schaden anzurichten und eine ebenso große Gefahr heraufzubeschwören droht, wie das in Ungarn der Fall war, wo die ungarischen Herren Turati sowohl die Partei als auch die Rätemacht von innen sabotierten.“

So wie die Grundsatzfragen der Mitgliedschaft, die nationale u. koloniale Frage sowie die Gewerkschaftsfrage, stand auch die Behandlung der Frage der Wahlbeteiligung auf der Tagesordnung des Zweiten Weltkongresses der KI im Juni 1920. Anders als es später in der Internationale üblich werden sollte, wurden damals dort noch Debatten geführt, wurde der politische Meinungsstreit nicht durch Denunziation und Geheimdienstmethoden ersetzt. Serrati wurde als Delegierter der großen italienischen Partei genauso wie z.B. Paul Levi von der deutschen KP ins Präsidium des Weltkongresses berufen, Bordiga – wenn auch nicht Teil der offiziellen italienischen Delegation – wurde auf ausdrücklichen Wunsch Lenins die Teilnahme ermöglicht.

Während Serrati sich massiv dafür einsetzte, dass Bordiga nur mit beratender Stimme zugelassen wurde, hielt dieser im Ausschuss zur Frage des Parlamentarismus das Gegenreferat zu Bucharin. In der Frage des Wahlboykotts konnte sich die Linke allerdings nicht durchsetzen. „Nach Bordigas Erinnerungen wurden ‘etwa 80 Stimmen für die Thesen Bucharins und elf Gegenstimmen abgegeben’. Um sich von den ebenfalls parlamentsfeindlichen Anarchisten und Anarchosyndikalisten zu distanzieren, hatte Bordiga vor der Abstimmung ‘den Wunsch ausgesprochen, dass jene nicht für ihn stimmen mögen, die nicht auch die marxistischen Prämissen seiner Thesen annehmen wollten’.“ (König, S.105)

Rückblickend wird die Bedeutung dieser Parlamentsfrage von der kommunistischen Linken in ihrem Beitrag zum Parteitag von Lyon 1926 eingeordnet. Sie hob hervor, dass „ihr Wahlboykottismus […] nicht von antimarxistischen theoretischen Fehlern anarchosyndikalistischer Art aus[ging], wie die energischen Polemiken gegen die anarchistische Presse bezeugen. Erstens war die Taktik des Wahlboykotts für das politische Milieu der vollständigen parlamentarischen Demokratie gedacht, wo besondere Schwierigkeiten bei der Gewinnung der Massen für das richtige Bewußtsein von der Losung der Diktatur des Proletariats entstehen; unserer Meinung nach werden diese Schwierigkeiten übrigens nach wie vor von der Internationale ungenügend beachtet. Zweitens wurde der Wahlboykottismus nicht als eine für alle Zeiten gültige Taktik vorgeschlagen, sondern für die, heute leider vorübergegangene, allgemeine Situation des Bevorstehens großer Kämpfe und des Aufmarsches der größten proletarischen Massen.“ (zit. nach Kommunistisches Programm Nr. 14, Mai 1977, S. 25)

Noch bevor der Weltkongress beendet war, traten durch die neu entflammten Arbeiterkämpfe andere Fragen in den Mittelpunkt des Parteikampfes. Im Spätsommer 1920 kam es in Norditalien zu den legendären Fabrikbesetzungen. Helmut König beschreibt in seinem schon zitierten Buch ihren „verhältnismäßig geringfügigen Anlass – Verweigerung einer Lohnerhöhung in den Mailänder Alfa-Romeo-Werken Mitte August 1920 -, ihre Steigerung von der Obstruktion der Metallarbeiter (absichtliches Langsamarbeiten in den Betrieben) über die Aussperrung durch die Arbeitgeber, die Besetzung der Fabriken durch die Arbeiter und die Produktionsaufnahme in den besetzten Werken unter der Leitung von Arbeiterräten, die Bildung roter Milizen in den Fabriken und die Ausbreitung der Bewegung auf fast alle Produktionszweige im industriellen Dreieck Mailand – Turin – Genua bis zum Gegenschlag der staatlichen Autorität durch militärische Besetzung der Präfekturen, Telefonzentralen und Banken.“ (S,109f.) „Als in den besetzten Werken die Lohnzahlungen stockten, weil die vorgefundenen Bargeldvorräte aufgebraucht waren, als die erzeugten Waren sich als unabsetzbar erwiesen, weil die Werkseigentümer alle etwaigen Käufer mit gerichtlicher Verfolgung bedrohten und weil die ausländischen Kunden ihre Aufträge annullierten, wurde die Ausweglosigkeit der ganzen Aktion offenkundig. Unter den organisierten Arbeitern breiteten sich Enttäuschung und Kampfesunlust aus.“ (ebenda). Über die unterschiedliche Einschätzung dieses Kampfes zwischen der kommunistischen Linken und Gramsci berichtete Bordiga 1970 rückblickend:

„Mit den berühmten Fabrikbesetzungen erreichte die Arbeiterbewegung im Herbst 1920 ihren Höhepunkt; das war nach der Rückkehr der italienischen Delegierten, die an dem 2. Kongress der KI teilgenommen hatten. Die Frage nach dem revolutionären Verlauf jener Bewegung war in der Sicht beider Gruppen, der um ‘L’Ordine Nuovo’ und der um ‘Il Soviet’ unterschiedlich, ja sogar gegensätzlich. In der Kritik an den Turinern schrieb der ‘Il Soviet’ damals: ‘Die Fabrik einnehmen oder die Macht ergreifen?’ Prinzipielle Argumente vorbringend, leugneten wir, dass sich die kommunistische Revolution mittels der Eroberung der Betriebe und der wirtschaftlich-technischen Leitung seitens der Belegschaft einleiten ließe, wie Gramsci meinte. Unserer Auffassung nach sollten die politischen Arbeiterkräfte zum Angriff auf die Polizeipräsidien und staatlichen Präfekturen übergehen, um die große aufständische Bewegung anzubahnen, die schließlich, vermittels des Aufrufs zum nationalen Generalstreik die politische Diktatur des Proletariats herbeiführen sollte. Eine Perspektive, die der geschickte und nicht dumme Führer der italienischen Bourgeoisie, Giovanni Giolitti, offensichtlich intuitiv erfasste. [Ministerpräsident] Giolitti ignorierte die Forderungen der Industriellen, wonach die Fabriken mittels der Staatsgewalt geräumt und ihren juristischen Eigentümern zurückgegeben werden sollten. Dass sich die Industrieanlagen in den Händen der Besetzer befanden, war für ihn gleichbedeutend damit, ihnen eine völlig unwirksame Waffe zu überlassen, um die Macht und Privilegien der kapitalistischen Minderheit bedrohen oder stürzen zu können, zum anderen hätte die Leitung der Produktionsmittel seitens der Arbeiter auch nicht die Tür zu einem nicht-privaten Regime gesellschaftlicher Produktion geöffnet. Unsere taktische Linie war die, der Arbeiterpartei den Einfluss und die Kontrolle über die traditionellen Gewerkschaftsorganisationen zu sichern und nicht schon die Kontrolle über die Fabrikräte und Abteilungsleitungen, wie es der Ordinovismus vorsah.“ (Interview S.6)

Gramsci hatte einen absolut verklärenden Blick auf die Fabrikräte, der bis zur Negierung der Rolle der Partei und Gewerkschaften reichte. „So betrachtet ist der Arbeiterfabrikrat die erste Zelle eines historischen Prozesses, der in der kommunistischen Internationale gipfeln muss, und zwar nicht mehr als politische Organisation des revolutionären Proletariats, sondern als Reorganisation der Weltwirtschaft und als Reorganisation des gesamten Zusammenlebens der Menschen und Nationen in der Welt“, beschreibt er z.B. im Juni 1920 im Ordine Nuovo die Rolle der Fabrikräte, um weiter zu fordern: „Partei und Gewerkschaft dürfen sich nicht als Vormund oder als bereits konstituierte Überbauten der neuen Räteinstitution verstehen.“ (zit. nach „Philosophie der Praxis“. Fischer 1967, S.68)

Die Niederlage der Arbeiterbewegung mit den Fabrikbesetzungen und auch die Kritik der Kommunistischen Internationale an der Gründung „künstlicher, treibhausartiger ‘Sowjets’“ schwächten die Stellung der Ordinovisten in der sozialistischen Bewegung und führten zu einer temporären Entmutigung Gramscis, der sich wieder einmal auf rein kulturelle und philosophische Zirkelarbeit zurückzog, während die kommunistische Linke ihren Einfluss steigern und ihr Organisationsnetz ausbauen konnte. Dementsprechend stark war auch ihre Position bei der Gründung der kommunistischen Fraktion, die im Oktober 1920 auf einem Treffen zwischen Vertretern der Linken, der Ordinovisten, des Jugendverbandes und mit Serrati unzufriedener Anhängern des linken Flügels der maximalistischen Fraktion in Mailand vorbereitet und im November in Imola vollzogen wurde. Dies wird von Helmut König, der keine besonderen Denunziationsabsichten gegenüber der Linken verfolgt, folgendermaßen beschrieben: „Organisator der Tagung von Imola, ‘die in Wirklichkeit die Gründungsversammlung der [Kommunistischen] Partei war’, war Amadeo Bordiga. Seine schon seit über einem Jahr bestehende kommunistisch-abstentionistische Fraktion war die einzige einigermaßen fest gefügte Gruppe, die im ganzen Land Anhänger besaß und sich nicht nur auf die persönliche Gefolgschaft regionaler und lokaler Parteigrößen stützte.“ (S.134)

Auf dem Parteitag der PSI in Livorno im Januar 1921 trat die kommunistische Fraktion für die Bildung einer wirklichen Kommunistischen Partei ein. Rückblickend beschreibt Bordiga ihr Wirken:

„Das Ziel dieser neuen Organisation war gewiss nicht, die Stimmenmehrheit auf dem Parteitag von Livorno zu erringen, sondern das Gerüst einer wirklichen Kommunistischen Partei zu errichten, was nur durch eine klare Spaltung zu bewerkstelligen war: Auf der einen Seite diejenigen, die die Beitrittsbedingungen vollständig akzeptierten und praktisch durchführten, auf der anderen Seite die, die das nicht taten, denn es war völlig klar, das die zahlenmäßig stärkere maximalistische Richtung den Ausschluss Turatis und Genossen nicht beschließen würde. […] Wir zögerten also nicht im Geringsten, den Bruch vorzubereiten und durchzusetzen und ich bin froh und auch stolz, die unwiderrufliche Erklärung im Namen aller Kommunisten, die für den Antrag von Imola gestimmt hatten, verlesen zu haben; wir alle verließen daraufhin den sozialistischen Parteitag in Livorno und versammelten uns im Hof des Theaters San Marco, wo die KP Italiens gegründet wurde.“ (Interview S.7)

Der Kampf um die kommunistische Programmatik in der PCd’I

Die Gründung der Kommunistischen Partei Italiens fiel in eine Zeit, in der die revolutionäre Nachkriegskrise ihrem Ende entgegen ging, die breiten Arbeiterkämpfe ihren Zenit überschritten hatten und die Konterrevolution auf dem Vormarsch war. Die Revolutionen in Deutschland und Ungarn waren gescheitert, die Faschisten in Italien im Aufwind und es war keine neue revolutionäre Welle in Sicht, die das siegreiche Russland aus der Isolierung befreien könnte. Das bedeutendste Ergebnis der revolutionären Welle war die Gründung der Kommunistischen Internationale. Deren Entwicklung und Festigung stand jedoch unter einem ungünstigen Stern. Kaum war der Bruch mit der Sozialdemokratie vollzogen, wurde um die „linken Sozialdemokraten“ gebuhlt, denen unter der Losung der „Massenpartei“ die Tore weit geöffnet wurden. Es begann vielerorts wieder ein opportunistisches Taktieren und Paktieren mit denen der Einfluss der Kommunistischen Parteien auch außerhalb proletarischer Kämpfe erweitert werden sollte. Immer mehr bekamen auch die außenpolitischen Interessen des isoliert gebliebenen Russland Gewicht in den Entscheidungen der Kommunistischen Internationale.

Vor diesem Hintergrund führte die kommunistische Linke in der soeben gegründeten Partei aber auch der Internationale einen Kampf zur Verteidigung der kommunistischen Prinzipien. Da die Zersetzungsarbeit des Opportunismus in den scheinbar untergeordneten taktischen Fragen begann, machte die kommunistische Linke auf den programmatischen Charakter auch dieser Fragen aufmerksam, präzisierte sie die Prinzipien der kommunistischen Taktik, die in untrennbarer Weise mit dem strategischen Ziel verbunden sind. Auf dem 2. Parteitag der PCd’I in Rom im März 1922 trug Bordiga die „Thesen über die Taktik“ (Römer Thesen) vor.

Über die prinzipielle Bedeutung der taktischen Fragen – gegen das pragmatische und opportunistische „Politik machen“ der Sozialdemokraten und Stalinisten - schrieben wir anlässlich der deutschsprachigen Veröffentlichung dieses programmatischen Dokumentes der kommunistischen Linken im Kommunistischen Programm Nr. 13 vom Januar 1977:

„Die Partei vertritt die Arbeiterklasse in ihrer historischen Bewegung eben in dem Maße, dass sie im Gegenteil zur Bewegung an sich, mit ihrer Entwicklung voll von Höhen und Tiefen, eine ununterbrochene Kontinuität des theoretischen Bewusstsein und der praktischen Haltung verkörpert. Die Mittel derer sie sich in ihrer Aktion bedient, unterscheiden sich selbstverständlich vom Ziel – sind etwas anderes als das Ziel. Sie stehen aber auch nicht in einem neutralen und gleichgültigen Verhältnis zu diesem Ziel. Die Kontinuität, die das wahre zusammenhaltende Element der Partei darstellt, kann nicht allein vom Besitz einer unantastbaren Theorie und [dem] Programm gesichert werden: Um zusammenhaltende Kraft, Zement der Partei und somit der Klasse zu sein, muss sie auch in der Praxis der Partei einen vollkommenen Ausdruck finden. Es ist klar, dass die Partei auf verschiedene Situationen verschieden reagiert, ihre jeweilige Aktion muss der veränderten, jeweiligen Lage Rechnung tragen. Die verschiedenen Situationen, die Veränderungen der Situationen, sind aber keineswegs unvorhersehbar. Im Gegenteil: die Aktionslinie der Partei setzt eine vorgegebene Kenntnis des Charakters und der materiell bestimmten Haltungen aller im Wechselspiel der Klassengegensätze wirkenden Kräfte. Die verschiedenen Haltungen, in denen sich die Aktionslinie der Partei in den alternierenden Phasen des sozialen Kampfes ausdrücken wird, müssen den Militanten bekannt und den von der Partei beeinflussten Proletariern verständlich und durchsichtig sein. […] Ohne revolutionäre Theorie gibt es keine revolutionäre Aktion. Ebenso wahr ist aber, dass die Aktion, wenn sie nicht fest und eindeutig in dieser Theorie verankert ist und orthodox dieser Theorie entspringt, ihrerseits verformend auf die Theorie zurück schlägt.“ (S.10ff.) Dies ist auch eine grundlegende Lehre aus der stalinistischen Konterrevolution. Die unzähligen nicht mehr nachvollziehbaren Richtungsschwenks der stalinistischen Parteien mit ihrer „der Zweck heiligt die Mittel“-Praxis hat Generationen von demoralisierten Proletariern zurückgelassen und der bürgerlich-demokratischen Demagogie des Kapitalismus ausgeliefert.

Gegen die ersten Anzeichen dieser fatalen Entwicklung wendeten sich schon 1922 die sog. „Römer Thesen“. Abgeleitet aus dem kommunistischen Programm richteten sie sich gegen den Opportunismus. „Das Parteiprogramm hat nicht den Charakter eines bloßen Zieles, das über irgendeinen Weg zu erreichen wäre, sondern den einer historischen Perspektive von zusammenhängenden Wegen und Zielen; daher muss die jeweilige Taktik in der Folge der Situationen dem Programm entsprechen; daher müssen auch die allgemeinen taktischen Regeln für die aufeinanderfolgenden Situationen innerhalb bestimmter Grenzen festgelegt sein […] es muss aber vor allem bedacht werden, dass die Aktionsfähigkeit der Kommunistischen Partei in direktem Verhältnis von ihrer Fähigkeit abhängt, kontinuierlich ihren Organisations- und Vorbereitungsprozess zu entwickeln, der es ihr erlaubt, die Massen zu beeinflussen und zur Tat aufzurufen. Sie kann daher keine Taktik anwenden, die bloß gelegentlichen und vorübergehenden Kriterien entspricht, in der Hoffnung, daraufhin, im Augenblick wo diese Taktik überholt erscheint, plötzlich eine Wende machen, die Front wechseln und die Verbündeten von gestern zu Feinden erklären zu können.“ (ebenda S.32f.)

In ihrer Allgemeingültigkeit richteten sich die Römer Thesen an die gesamte Kommunistische Internationale. Als Beispiel sei hierfür die klare Ablehnung der Vermischung von Kommunismus und Reformismus und die Kritik der falschen Taktik der „Arbeiterregierung“ genannt. Um die sozialdemokratischen Arbeiter nicht so zu erschrecken, wurde in der Kommunistischen Internationale der Begriff der „Arbeiterregierung“ als vermeintliches Synonym für „Diktatur des Proletariats“ eingeführt, welche dann aber als banale parlamentarische Kombination (von KPD und SPD in Mitteldeutschland) das Licht der Welt erblickte. Die Römer Thesen stellten klar: „Eine Regierung der bürgerlichen Linken oder gar eine sozialdemokratische Regierung können wohl als Annäherung an den Endkampf für die proletarische Diktatur betrachtet werden, aber nicht in dem Sinne, dass sie dafür bessere wirtschaftliche oder politische Voraussetzungen schaffen oder gar dem Proletariat größere Freiheit für die revolutionäre Organisation, Vorbereitung und Aktion bieten würden. Eine solche Hoffnung wäre tödlich. Aus Gründen der Theorie und der blutigen Erfahrung weiß die Kommunistische Partei (und es ist ihre Pflicht, dies zu verkünden), dass solche Regierungen dem Proletariat nur solange Handlungsfreiheit gestatten, wie es sie für seine Vertreter hält und verteidigt, während sie einem Kampf der Massen gegen den demokratischen Staatsapparat mit der grausamsten Reaktion entgegentreten. Wenn die Errichtung solcher Regierungen nützlich sein kann, so in einem ganz anderen Sinn, nämlich insofern ihr Tun es dem Proletariat erlaubt, aus den Tatsachen selbst die praktische Lehre zu ziehen, dass nur die Errichtung seiner Diktatur zu einer wirklichen Niederlage des Kapitalismus führt. Und es ist klar, dass die Kommunistische Partei ein solches Experiment nur dann gründlich und nützlich verwerten kann, wenn sie von vornherein das Versagen solcher Regierungen verkündet und gleichzeitig eine feste unabhängige Organisation aufrechterhalten hat, um die sich das Proletariat einreihen kann, wenn es gezwungen wird, sich von den Gruppen und Parteien, deren Regierungsexperimente es zum Teil unterstützte, abzuwenden.“ (ebenda S.34)

Unmittelbare Bedeutung für die praktische Tätigkeit der jungen PCd’I hatte die These zur Einheitsfrontpolitik: „Die Kommunistische Partei beteiligt sich daher am Leben all jener ökonomischen Organisationen des Proletariats, die den Arbeitern aller politischen Glauben offenstehen (Gewerkschaften, Betriebsräte, Konsumgenossenschaften usw.). Um ihre Arbeit wirksam entfalten zu können, vertritt die Partei die grundlegende Forderung, dass alle diese Organisationen einheitlich sein müssen, d.h. alle Arbeiter umfassen, die sich in einer bestimmten wirtschaftlichen Lage befinden. Die Teilnahme der Partei am Leben dieser Organe erfolgt durch die Organisation der ihnen angehörenden Parteigenossen in Gruppen oder Zellen, die eng mit der Parteiorganisation verbunden sind. Diese Gruppen nehmen in erster Linie an den Kämpfen der ökonomischen Organisationen teil, um dadurch jene Elemente an sich und somit an die Partei zu ziehen, die in der Entwicklung der Kämpfe dazu heranreifen. Sie streben danach, die Mehrheit der jeweiligen Organisation hinter sich zu ziehen […] dies geschieht hauptsächlich durch das Auftreten in den Kämpfen, das den Arbeitern hilft, aus ihnen die nützlichsten Lehren zu ziehen.“(ebenda, S.28)

Die Streiks vom August 1922, die auch ein letztes Aufbäumen der Arbeiterklassen gegen den aufmarschierenden Faschismus darstellten, waren ein Beispiel für die praktische Anwendung dieser Einheitsfrontpolitik durch die PCd’I. Statt auf politische Kombinationen oder sogar klassenübergreifende Bündnisse zu setzen, vertrat sie die Einheit der Arbeiterklasse im Kampf.

Bordiga erinnerte sich: „Der letzte gewaltsame Zusammenstoß zwischen proletarischen Gruppen und faschistischen, staatlich massiv unterstützten Banden war in der Tat der große Streik vom August 22. Die Kommunistische Partei hatte sowohl in ihrer Propagandaarbeit als auch auf den internationalen Kongressen schon klar ausgesprochen, dass sie die Strategie des Bündnisses zwischen verschiedenen politischen Parteien für falsch hielt und für die gewerkschaftliche Einheitsfront, die Objekt ernsthafter Meinungsverschiedenheiten war, eintrat. […] Während der politische Block als parlamentarische Koalition zur sog. ‘Arbeiterregierung’ (einer Sache, der wir, auch in Moskau, energisch entgegentraten) führen musste, hätte die gewerkschaftliche Front die originär revolutionären und marxistischen Methoden des Streiks und des bewaffneten Bürgerkriegs benutzten können, um die Macht der Bourgeoisie, damals in den Händen der Faschisten, zu stürzen. Kommen wir kurz zur Chronik jener bewegten Zeit zurück. Während die rechten und opportunistischen Gruppen Druck ausübten, um das von uns abgelehnte Parteienbündnis zustande zu kriegen, startete die Eisenbahnergewerkschaft eine Initiative und berief eine Versammlung von Vertretern aller Parteien und Gewerkschaften in Bologna ein. Zu dieser etwas suspekten Versammlung sandten wir keinen Repräsentanten der Partei, sondern einen Genossen, der die Leitung der uns angehörenden gewerkschaftlichen Kräfte innehatte. Er überbrachte uns die erstaunliche Nachricht, dass die größte Gewerkschaft, der Allgemeine Gewerkschaftsbund, erklärt hatte, über kein geeignetes Kommunikationsnetz zu verfügen, um an alle Arbeitskammern das Startsignal für den Generalstreik zu geben. Angesichts dieser desaströsen Haltung bot unser Genosse gemäß den Anweisungen des kommunistischen Exekutivorgans an, mit unserem illegalen Netz für die Verbreitung des Streikaufrufs, den der Gewerkschaftsbund formulieren sollte, zu sorgen. Der Gewerkschaftsbund und die anderen Versammelten nahmen unser Angebot wohlweislich an, da der Streik sonst nicht von nicht-kommunistischer Seite aus hätte organisiert werden können. Das Kommunikationsnetz unserer Partei und unserer Gewerkschaftsgruppen aufbietend, um den Streik mit allen Mitteln durchzuführen, gelangte der offizielle Streikaufruf so bis in den letzten Winkel des Landes. Kurz darauf nahm die Streikbewegung in ganz Italien starke und militante Formen an und den natürlich drastischen Maßnahmen der gegnerischen Kräfte wurde massiver Widerstand entgegengesetzt.“ (Interview S.10)

Der Generalstreik wurde allerdings – kaum dass er begonnen hatte - von der Gewerkschaftsführung mit dem Argument abgebrochen, er habe als „Machtdemonstration gegen Mussolini ausgereicht“.

Das Ergebnis des abgebrochenen Kampfes war eine zunehmende Repression und die bekannte Fahrt Mussolinis mit dem Schlafwagen an die Regierung in Rom im Oktober 1922. Während Bordiga im Februar 1923 verhaftet wurde, war Gramsci in Moskau. Dort orientierte man, nach dem im Herbst 1922 dann doch erfolgten Ausschluss Turatis aus der PSI auf eine Wiedervereinigung der gerade gegründeten PCd’I mit der Rest-PSI. Darüber, wie im Sinne dieser gewünschten „Einheitspartei“ - die letztendlich allerdings am Widerstand in der PSI scheiterte - Gramscis von der Kominternführung auf Linie gebracht wurde, berichtet Riechers in dem Anfangs erwähnten Buch: „Gramsci vertritt bis in das Jahr 1923 hinein die Positionen Bordigas. Er macht sich jedoch weniger die inhaltlichen Bestimmungen der Taktik-Thesen zu eigen, noch läßt sich irgendeine vertiefte Aneignung der marxistischen Theorie der frühen Dritten Internationale feststellen. Seine Übereinstimmung mit Bordiga basiert auf der Kritik an der Kominternzentrale, die der PCI die Fusion mit dem linken Flügel der PSI aufzwingen will.“ (S.72) In Moskau ändert Gramsci allerdings seine Position. „Trotzki erzählt 1924 einigen italienischen Delegierten, welche Schwierigkeiten er, Sinowjew und Bucharin mit Gramsci gehabt haben. ‘Wir haben sehr stark drücken müssen’, sagt Trotzki, ‘um ihn zu überzeugen eine Kampfposition gegen Bordiga einzunehmen’...“ (S.73)

Gramsci bildete eine eigene Fraktion und ließ den zwischenzeitlich eingestellten „Ordine Nuovo“ wieder erscheinen. „Einmal den Bruch mit Bordiga vollzogen, unterzieht er die bisherige Politik seiner Partei, die er ja bis vor kurzen selbst vertrat, einer erbitterten Kritik“, stellte Riechers fest. (S.75) Während Bordiga im Gefängnis saß, wurde von der Komintern eine komplett neue Führung der PCd’I, die in ihrem Kern aus den Turiner Ordinovisten bestand, eingesetzt. „Ihm gehörten Togliatti, Scoccimarro, Tasca, Vota und Fortichiari an. Von diesen fünf Männern war Bruno Fortichiari der einzige, der ohnehin der vom Gründungsparteitag in Livorno satzungsgemäß bestellten und vom II. Parteitag der KPI in Rom bestätigten Exekutive angehörte. Er weigerte sich dann auch die Ernennung durch das EKKI [Exekutivkomitee der KI] anzuerkennen, worauf ihn das EKKI durch Egidio Gennari ersetzte – ‘eine Sache, die nicht ohne Bedeutung war, weil Gennari bereits im Gegensatz zu Bordigas Haltung stand, während Fortichiari sich nie von ihr lossagte.’ Auf diese Weise wurde die KPI die erste Sektion der Komintern, die von Männern geleitet wurde, die ihre führende Stellung nicht einem satzungsgemäßen Beschluss der eigenen Partei, sondern einer in Moskau gefällten Entscheidung verdankten.“ (König S. 160).

Erst 1924 – nachdem er ins Parlament gewählt worden war – konnte Gramsci nach Italien zurückkehren. (Auch der siegreiche Faschismus verzichtete (anfangs) nicht auf das demokratische Spiel!) In der
Frage des antifaschistischen Kampfes wurde das Aufgeben der kommunistischen Politik durch Gramsci u. Co. besonders deutlich.

Gleich nach ihrer Gründung stand die PCd’I vor der Aufgabe des unmittelbaren Kampfes gegen die Faschisten. Zu diesem Zweck bildete sie sofort einen umfassenden militärischen Apparat. Entsprechend ihrer klaren Klassenposition lehnte sie allerdings die Teilnahme an den „Arditi del popolo“, einem überparteilichen Wehrverband, ab. Bordiga sagte dazu: „Diese neuen Truppenverbände auf den abgenutzten Mythos ‘Volk’ zu beziehen, heißt, in den alten anti-marxistischen Fehler zurückzufallen, die gesellschaftlichen Klassen durcheinander zu mischen, statt ihren Gegensatz zu unterstreichen […] Unsere Strömung hat immer die These negiert, nach der dem Faschismus ein aus der kommunistischen, maximalistischen und reformistischen Partei gebildeter Block entgegengestellt werden könne. […] Den Faschismus halten wir nur für eine der Formen, worin der kapitalistische bürgerliche Staat seine Herrschaft behauptet, wobei diese Form, wenn es für die herrschenden Klassen vorteilhafter zu sein verspricht, mit der der liberalen Demokratie (also dem Parlamentarismus) abwechselt.“ (Interview S.8f.)

Dass diese klare und unabhängige Haltung den Widerstand gegen die Faschisten nicht geschwächt hat, sondern vielmehr seine notwendige Grundlage darstellte, zeigte schon im August 1921 der sog. „Friedenspakt“, der von der PSI und dem von ihr geführten Gewerkschaftsbund mit den Faschisten abgeschlossen wurde. Während die Sozialisten damit vergeblich den blutigen Terror beenden wollten und ihren Widerstand einstellten, führte die Mehrzahl der Faschisten unbekümmert ihre Gewaltaktionen fort. Bordiga erinnerte sich: „Arbeiterorganisationen und -parteien, die aus Prinzip gegen den Einsatz von Gewalt und beseelt vom ‘sozialen Frieden’ waren, hatten den unglaublichen Vorschlag eines ‘Friedenspaktes’ mit den Zentren und Führern der faschistischen Bewegung lanciert. Die kommunistische Parteiführung, die seit damals auf die ernste Gefahr jeglichen Pazifismus auf der Ebene des sozialen und bürgerlichen Widerstands aufmerksam geworden war, erfüllte ihre Pflicht, indem sie den fraglichen Pakt öffentlich desavouierte.“ (Interview S.8)

Dass die neue Parteiführung der Ordinovisten einen gänzlich anderen Standpunkt einnehmen sollten, zeigte sich 1924 nach der Ermordung des sozialdemokratischen Abgeordneten Matteotti durch die Faschisten. Aus Protest gegen diesen Mord verließen die Kommunisten nicht nur zusammen mit den anderen Oppositionsparteien das Parlament und gründeten ein Gegenparlament („Aventin“), sie riefen auch zur gemeinsamen Aktion auf, um eine Restauration des parlamentarisch-demokratischen Regimes einzuleiten. Gleichzeitig lösten Gramsci und Co. den geschwächten eigenen militärischen Apparat auf und forderte den Übertritt in die Kampfbünde der ehemaligen Frontkämpfer. „Weit über die Komintern-Direktiven hinausgehend, die zur Einheitsfront der Parteien der Arbeiterklasse auffordern, stellt sich Gramsci auf den Boden eines, auch die bürgerlichen Parteien einschließenden, generell antifaschistischen Blocks.“ (Riechers, S.80)

Diese antifaschistische Politik Gramsci nahm damit die Volksfrontpolitik der Komintern vorweg und war der Anfangspunkt der fatalen nationalen, im „historischen Kompromiss“ gipfelnden Politik der Nachkriegs-KPI. „Diese Tatsache gibt unserer vorhin schon erwähnten historischen Voraussage Recht, wonach die verhängnisvollste Wirkung des Faschismus im Auftreten des anti-faschistischen Blocks besteht, dessen doppelzüngige Politik nur dazu führen konnte, die Zukunft dieser unseligen italienischen Gesellschaft zu beherrschen und zu ersticken. Heute muss man feststellen, dass sich diese Aussage leider als zutreffend erweisen hat.“, stellte Bordiga im Interview von 1970 fest. (S.13)

Der Sieg der stalinistischen Konterrevolution

Der 3. Parteitag der PCd’I, der im Januar 1926 im französischen Lyon stattfinden mußte, war der Parteitag der Durchsetzung des Opportunismus und Nationalismus in der Kommunistischen Partei Italiens. Trotz der Manöver der Komintern und manipulierter Delegiertenstimmen nutzte die kommunistische Linke diesen Parteitag um in ihren „Thesen von Lyon“ die taktischen und strategischen Prinzipien des Kommunismus systematisch darzulegen und zu verteidigen. Sie schuf damit die Grundlage für ihren fortan außerhalb der KPI stattfindenden Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution.

In ihren Lyoner Thesen beschrieb die kommunistische Linke den Weg Gramscis und der Ordinovisten: „Bis kurz vor dem Weltkongreß von 1920 war die Gruppe ‘Ordine Nuovo’ gegen die Spaltung der alten Partei und hat alle gewerkschaftlichen Fragen falsch gestellt. Der Vertreter der Internationale in Italien war gezwungen, mit ihnen über die Frage der Betriebsräte und der verfrühten Bildung von Sowjets eine scharfe Polemik zu führen. […] Eine Zeitlang schlossen sich die Ordinovisten den Positionen der Linken gegenüber der Internationale an, in Wirklichkeit jedoch differenzierte sich ihr Denken von den Thesen von Rom, obwohl sie es für angebracht hielten, für diese Thesen zu stimmen.“ Seinen Höhepunkt fand dieser Opportunismus Gramscis auf dem Lyoner Parteitag: „Unter diesen Umständen hat es einen ironischen Beigeschmack, wenn die ordinovistischen Führer nun mit mechanischen, bürokratischen und Klatschtantenmitteln gerade diejenigen bolschewisieren wollen, die in Wirklichkeit diesen Ordinovisten den bolschewistischen Weg im ernsten und marxistischen Sinn des Wortes gezeigt haben.“ (zit. Nach Kommunistisches Programm Nr. 14, Mai 1977, S.27)

Die offiziellen Thesen, die Gramsci auf diesem Parteitag vortrug, und die statt von einem zu bekämpfenden bürgerlichen Klassenstaat von einem rückständigen und ungeeinten Italien ausgingen, waren eines „der ersten Dokumente des nationalen Weges zum Sozialismus in der Geschichte der Dritten Internationale.“, schreibt Riechers und zitiert daraus: „Das Proletariat stellt das einzige Element dar, das aufgrund seiner Natur eine die ganze Gesellschaft vereinheitlichende und koordinierende Funktion hat. Sein Klassenprogramm ist das einzig ‘unitarische’ Programm, das heißt, das einzige, dessen Anwendung nicht dazu führt, die Kontraste zwischen den verschiedenen Elementen der Wirtschaft und der Gesellschaft zu vertiefen und die staatliche Einheit zu zerbrechen.“ (S.85) Die Kommunistische Partei sollte also nicht mehr der politische Ausdruck des Proletariats im Kampf gegen die ganze bürgerliche Gesellschaft sein, sondern eine Rolle als Retter der italienischen Nation spielen – das war das Ergebnis des Wirkens von Gramsci und Togliatti in der PCd’I. Dies war gleichzeitig der Endpunkt der Kommunistischen Partei Italiens.

Nach dem Kongress von Lyon erlitt die „italienische“ kommunistische Linke eine systematische ideologische und organisatorische Verfolgung. Während eine kleine Gruppe von Aktivisten in Russland blieb und durch die stalinistische Konterrevolution physisch eliminiert wurde, gab es für die anderen Genossen verschiedene Szenarien: Verhaftung und Verbannung (oder Klandestinität) für die, die in Italien blieben - verbunden mit der politischen Isolation, die daraus folgt – oder das Exil mit all den damit verbundenen praktischen und politischen Problemen. Der zahlenmäßig größere Kern der Aktivisten reorganisierte sich unter den Bedingungen des Exils in Frankreich und Belgien als Auslandsfraktion um die Zeitung „Bilan“, um die kommunistische Programmatik zu verteidigen. Ein kleiner Teil von Aktivisten arbeitete mit beachtlichen Schwierigkeiten der Verbindung in den USA und Lateinamerika. Der Kontakt mit anderen Organisationen (z.B. den Trotzkisten bis zum endgültigen Bruch mit Trotzki) wurde zwar nicht vernachlässigt, aber aus offensichtlichen politischen Gründen blieben die Genossen isoliert. In dieser Phase mussten die Genossen nicht nur einen theoretischen Kampf führen, sondern auch gewaltsame Zusammenstöße mit dem Stalinismus bestehen. Die hartnäckige Hingabe an die Tradition und die Erfahrung der Partei - jenseits der Schwankungen und theoretischen Mängeln – war die wahre Funktion der Fraktion. Die Fehler in den Bewertungen und Analysen der Auslandsfraktion hatten ihre Ursachen sowohl in der weitgehenden Isolation als auch der Tatsache, dass der komplette historische Zyklus noch nicht abgeschlossen war. Das erklärt auch die extreme Zurückhaltung des verbannten Bordiga in der Durchführung von Bewertungen in dieser kompletten Periode, auch auf Kosten einer zusätzlichen Isolation: Es ging vor allem darum, zu verstehen, was passiert war, es war notwendig, eine Bilanz aus dieser Periode zu ziehen und vor allem ein tiefgründiges Studium der sozialen Realität und der russischen Politik vorzunehmen. Das Problem war, dass die Genossen der Fraktion - oder einige von ihnen - keine wirkliche Bilanz der Phase, in der sie sich befanden, anbieten konnten und in einigen Fällen - vor allem zum Ende des Zweiten Weltkrieges - sind sie auch in theoretische Fehler verfallen: Unzureichende Analysen der russischen Situation (bis zu dem Punkt ob Russland kapitalistisch war oder nicht) und Entstellungen selbst grundlegender Positionen der kommunistischen Linken (über die Einheitsfront, die nationale und koloniale Frage, die Gewerkschaftsfrage). Diese Entgleisungen wurden dadurch erleichtert, dass in den Ländern, in denen die emigrierten Genossen sich wiederfanden, statt einer realen marxistischen Tradition eine starke sozialdemokratische und anarchistische Tradition präsent war, die die Aktivisten, mit denen sie dort in Verbindung traten, geprägt hatte. Nicht immer gelang es, sie davon zu befreien. Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte dann diffuse Hoffnungen auf eine revolutionäre Situation (wie bei den Trotzkisten), die allerdings schnell enttäuscht wurde. Es folgte eine weitere Entstellung des Wesens und Charakters der Kommunistischen Partei durch das Konzept der Formierung der Partei als sehr langfristigen und weit entfernten Prozess, letztendlich als spontanes Werk des Proletariats in der revolutionären Phase. Diese (eher dem „Rätekommunismus“ verwandte) Position wurde unterstützt von einer Gruppe von Genossen der Auslandsfraktion, die 1944 nicht in die neu gegründete PCInt eintraten. Auf diese bezieht sich heute die sogenannte „Internationale Kommunistische Strömung“ (IKS), die diese Positionen noch ins Extreme getrieben hat.

Wir werden in einem folgenden Artikel auf die Wiedergründung der Partei 1944 und den weiteren Weg der Klärung und des Kampfes der Internationalen Kommunistischen Partei eingehen.

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