WAS UNSERE PARTEI KENNZEICHNET: Die politische Kontinuität von Marx zu Lenin bis zur Gründung der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Italiens (Livorno 1921); der Kampf der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale, gegen die Theorie des “Sozialismus in einem Land” und die stalinistische Konterrevolution; die Ablehnung von Volksfronten und des bürgerlichen Widerstandes gegen den Faschismus; die schwierige Arbeit der Wiederherstellung der revolutionären Theorie und Organisation in Verbindung mit der Arbeiterklasse, gegen jede personenbezogene und parlamentarische Politik.


 

In den vom II. Kongress der Kommunistischen Internationale angenommenen, wahrhaft marxistischen Leitsätzen „über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution“ wird zuallererst das Verhältnis zwischen Partei und Klasse definiert, und es wird festgestellt, dass die Klassenpartei nur einen Teil der Klasse in ihre Reihen aufnehmen kann – nie die ganze Klasse und wohl auch nie ihre Mehrheit.

Diese auf der Hand liegende Tatsache wäre noch deutlicher geworden, wenn präzisiert worden wäre, dass man nicht einmal von Klasse sprechen kann, solange nicht eine Minderheit derselben dahin drängt, sich als politische Partei zu organisieren.

Was ist also, unserer kritischen Methode nach, eine gesellschaftliche Klasse? Existiert sie bereits, wenn wir rein sachlich, äußerlich eine Analogie der sozialen und ökonomischen Bedingungen für große Massen von Individuen feststellen? Eine Analogie ihrer Stellung im Produktionsprozess? Das wäre sehr mager. Unsere Methode bleibt nicht dabei stehen, die in einem bestimmten historischen Moment bestehende gesellschaftliche Struktur zu beschreiben und – nach Art der scholastischen Klassifizierung der Naturalisten – eine abstrakte Scheidewand zwischen den diese Struktur bildenden Individuen zu errichten. Die marxistische Kritik fasst die Gesellschaft in ihrer Bewegung, ihrer zeitlichen Abfolge, wobei wesentlich historische und dialektische Kriterien angewandt werden, was heißt: untersucht werden die Geschehnisse, wie sie wechselseitig aufeinander einwirken und den Gang der Geschichte formen.

Statt nach der alten metaphysischen Methode eine Momentaufnahme der Gesellschaft zu nehmen, um dann darin die verschiedenen Kategorien auszumachen, worin die Individuen, deren Summe die Gesellschaft bilden soll, eingeordnet werden, sieht die dialektische Methode die Geschichte als Film, und es sind die ins Auge springenden Merkmale bei dieser Abfolge von Bildern, worin die Klasse gesucht und aufgefunden werden muss.

Im erstgenannten Fall würden wir es den Statistikern und Demographen mit ihren tausend Einwänden gleichtun; in ihrer Kurzsichtigkeit kaum zu schlagende Leute, die sich die Aufteilungen noch mal angucken und mit Sicherheit feststellen würden, dass es nicht 2, 3 oder 4 Klassen sind, sondern durch sukzessive Abstufungen und undefinierbare Zwischenräume gar 10, 100 oder 1000 Klassen. Im zweiten Fall indes haben wir ganz andere Faktoren, um den Protagonisten des historischen Dramas, eben die Klasse, zu erkennen, und ihre Merkmale, ihr Wirken, ihre Ziele festzustellen – Dinge, die aufgrund ihrer Gleichförmigkeit inmitten ständig wechselnder Erscheinungen (hervorgerufen durch eine Reihe von Ereignissen) Gestalt annehmen, und die der armselige Statistiker photographiert und in einer sterilen und blutleeren Datentabelle auflistet.

Will man also die Existenz und das Handeln einer Klasse in einem bestimmten historischen Moment nachweisen, muss man nicht wissen, wie viele Pariser Kaufleute es unter Louis XVI. gab, wie viele englische Landlords im 18. Jahrhundert lebten oder wie viele Arbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts in den belgischen Manufakturen schwitzten. Wir müssen unserer folgerichtigen Untersuchung eine ganze historische Periode zu Grunde legen, darin die soziale, daher politische Bewegung aufspüren, vielleicht auch nur – durch Höhen und Tiefen, Erfolge und Rückschläge hindurch – den Verlauf einer Bahn finden, die sich gleichwohl deutlich abzeichnet, wenn man dem Komplex von Interessen folgt, die einen Teil der Menschen, die vom Produktionssystem und seinen Entwicklungen unter bestimmte Lebensbedingungen geworfen wurden, verbinden.

So konnte Friedrich Engels, in einer seiner ersten klassischen Anwendungen dieser Methode, aus der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ eine Reihe politischer Bewegungen herausschälen und das Bestehen eines Klassenkampfes nachweisen.

Der dialektische Klassenbegriff steht weit über den langweiligen Einwänden der Statistiker. Sie haben kein Recht mehr, die auf der Geschichtsbühne gegeneinander antretenden Klassen wie Chorgruppen auf den höheren und niederen Bühnenstufen zu gruppieren; sie können unsere Schlussfolgerungen auch nicht durch die Tatsache widerlegen, dass zwischen den Klassen undefinierbare Schichten heimisch sind, durch die hindurch ein osmotischer Austausch einzelner Individuen stattfindet, ohne dass dadurch die Physiognomien der einander gegenüberstehenden Klassen verändert wird.

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Der Klassenbegriff darf also keine statische, sondern muss eine dynamische Vorstellung hervorrufen. Wo wir eine soziale Tendenz, eine Bewegung mit bestimmten Zielen wahrnehmen, existiert eine Klasse im wirklichen Sinne des Wortes. Aber dann existiert auch, selbst wenn noch nicht formell, so doch in der Substanz, eine Klassenpartei.

Es sind Lehre und Kampfmethode, durch die eine Partei lebt. Sie ist eine Schule der politischen Denkweise und damit eine Kampforganisation. Ersteres betrifft das Bewusstsein, letzteres den Willen, oder genauer, die Zielsetzung.

Ohne diese beiden Merkmale lässt sich eine Klasse gar nicht als solche bezeichnen. Der bloße Empiriker kann, wir sagen es noch mal, die Affinität in den Lebensumständen mehr oder minder großer Gemeinschaften feststellen; aber das Werden der Geschichte, ihre Spur, findet sich nicht darin.

Und beide Merkmale werden überhaupt erst existent, wenn sie als Kondensat in der Klassenpartei konkret werden. So wie sich mit der Entwicklung bestimmter Bedingungen und Verhältnisse infolge der Durchsetzung neuer Produktionssysteme die Klasse bildet, so beginnen sich ihre Interessen stufenweise in einem Bewusstsein zu verdichten, das sich zuerst in kleinen Gruppen abzeichnet. Wenn die Masse zum Handeln gedrängt wird, sind es zuerst diese Gruppen, mit dem Endziel vor Augen, die die anderen vorwärtsstoßen und leiten.

Nun, man darf sich, sobald wir von der modernen proletarischen Klasse sprechen, diesen Prozess nicht allein auf bestimmte Arbeiterschichten oder Berufsgruppen bezogen vorstellen; sie in ihrer Gesamtheit fassend, schält sich ein genaueres Bewusstsein ihrer Interessenidentität heraus, aber auch, dass dies aufgrund einer Erfahrung und Kenntnis geschieht, die so komplex ist, dass es zunächst nur in kleinen Gruppen, die Elemente aus allen Berufsgruppen umfassen, auftreten kann. Der Überblick über den gesamten Verlauf des Kampfes, der auf die allgemeinen, die ganze Klasse betreffenden Ziele gerichtet ist und sich in dem Vorsatz, die gesellschaftliche Ordnung in ihrer Totalität umzustürzen, konkretisiert, kann sich nur in einer vorgeschrittenen Minderheit vorfinden.

Diese Minorität ist eben die Partei. Hat diese eine gewisse Entwicklungsstufe erreicht, was sicher nicht ohne Stockungen, Krisen und interne Konflikte vor sich gehen kann, können wir von einer  kämpfenden Klasse sprechen. Auch wenn die Partei nur einen Teil der Klasse umfasst, gibt doch erst sie ihrem Handeln und ihrer Bewegung die Einheit, weil in ihr jene Elemente zusammentreffen, die die bornierten lokalen und Berufsschranken überwunden haben, und die das Klasseninteresse aufnehmen und ausdrücken.

Die grundlegende Tatsache, dass die Partei nur ein Teil der Klasse ist, wird hierdurch deutlich. Wenn jemand das unbewegliche und abstrakte Bild der Gesellschaft betrachtet und darin einen Ausschnitt, die Klasse, und darin wiederum einen kleinen Kern, die Partei, fixiert, wird er natürlich sagen, dass der außerhalb der Partei stehende Teil der Klasse (fast immer die Mehrheit) mehr Raum einnimmt, größeres „Recht“ hat. Vergegenwärtigt man sich aber, dass die Individuen in dieser großen Masse noch kein Klassenbewusstsein, noch keinen Klassenwillen haben, dass in ihrem Leben der Egoismus, der jeweilige Beruf, die jeweilige Region bzw. gar Nation bestimmend sind, wird man einsehen, dass, um in der historischen Bewegung das einheitliche Handeln der Klasse zu verankern, ein Organismus notwendig ist, der die Klasse belebt, sie zusammenschweißt, präzise: sie eingliedert; man wird dann in der Partei den wirklichen Lebenskern erkennen, ohne den es keinen Sinn hätte, die große Masse als geballte Kraft zu bezeichnen.

Die Klasse hat die Partei zur Voraussetzung – denn um historisch zu existieren und sich zu bewegen, muss die Klasse über eine kritische Lehre der Geschichte verfügen und ein Ziel verfolgen.

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Die wirkliche und einzig revolutionäre Auffassung über die Klassenaktion besteht darin, der Partei die Richtung der Aktion anzuvertrauen. Mittels der marxistischen Analyse und einer langen Reihe von Erfahrungen lässt sich jede Strömung, die die Notwendigkeit und Überlegenheit der Parteifunktion abschwächen und abstreiten will, mühelos auf kleinbürgerliche und anti-revolutionäre Ideologien zurückführen.

Wird die Rolle der Partei vom demokratischen Standpunkt aus in Frage gestellt, so wird dieser Standpunkt der gleichen Kritik unterzogen, mit der Marx die Lehrsätze des bürgerlichen Liberalismus vernichtete.

Man muss sich hier nur Folgendes wieder vor Augen halten: Da das Bewusstsein Folge und nicht Ursache der Lebensbedingungen ist, wird es in der Regel nicht so sein, dass der Ausgebeutete, der Hungernde und Unterernährte begreift, den wohlgenährten und mit allen Mitteln und Möglichkeiten ausgestatteten Ausbeuter beseitigen zu müssen (auch wenn dies ausnahmsweise der Fall sein mag). Die parlamentarische Demokratie bedient sich deshalb so gern der Basis- oder Volksbefragung, weil sie weiß, dass die große Mehrheit immer für die privilegierte Klasse stimmen und ihr freiwillig das Recht zu regieren und die Ausbeutung zu verewigen überlassen wird.

Ob der kleinen Minderheit der Bourgeoisie die Stimmabgabe verweigert oder erlaubt wird, ändert nichts an den Verhältnissen. Die Bourgeoisie regiert mit Zustimmung der Mehrheit, nicht nur der Bürger, sondern ebenso der Mehrheit der Arbeiter.

Wollte also die Partei ihr Vorgehen und ihre Initiativen von der gesamten proletarischen Masse abhängig machen, würde das Votum ziemlich sicher zugunsten der Bourgeoisie ausfallen, ein Votum, das immer weniger klar und revolutionär, vor allem immer weniger von einem Bewusstsein bestimmt wäre, das vom proletarischen Gesamtinteresse, der Zielgerichtetheit des revolutionären Kampfes, geleitet wird.

Das viel beschworene Recht der Proletarier, selbst über ihre Klassenaktion zu entscheiden, ist eine hohle Abstraktion ohne jeden marxistischen Sinn. Das eigentliche Anliegen dieser These ist, die revolutionäre Partei dahin zu bringen, ihre Reihen mit weniger reifen Schichten zu vergrößern; denn in dem Maße, in dem dies geschieht, werden sich ihre Beschlüsse den bürgerlichen und konservativen Absichten immer mehr nähern.

Wenn wir dies belegen müssten, fänden wir Beweise nicht nur in der theoretischen Analyse, sondern auch in den reichen historischen Erfahrungen. Denken wir nur an den typisch bürgerlichen Gemeinplatz, der den „gesunden Menschenverstand“ der breiten Masse der „Verdorbenheit“ von „Rädelsführern“ gegenüberstellt, oder den, der sich eilig mit Verbesserungen für die Arbeiterschaft hervortut, während er wilde Hasstiraden gegen die Partei ausstößt, durch die allein die Arbeiter dahin kommen werden, die Interessen der Ausbeuter zu durchkreuzen. Und gerade der rechte Flügel der Arbeiterbewegung – die sozialdemokratische Richtung, deren reaktionärer Charakter sich historisch gezeigt hat – hört nie auf, die Masse in einen Gegensatz zur Partei zu stellen. Für die Sozialdemokratie existiert die Klasse durch die Basisbefragung, die den engen Rahmen der Partei sprenge; und wenn es ihr nicht gelingt, die Partei dahin zu bringen, die genauen Bestimmungen der Lehre und Aktionsdisziplin zu verwässern, versucht sie durchzusetzen, die Parteiorgane nicht allein von den Parteimitgliedern einsetzen, sondern die Leitungsfunktionen den parlamentarischen Amtsinhabern zufallen zu lassen, welche von einem breiteren Kreis gewählt werden – und tatsächlich bilden die Parlamentarier immer die extreme Rechte ihrer Partei.

Die Degeneration der sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale, ihre Entwicklung, die sich anscheinend noch mehr als die der unorganisierten Massen von der Revolution entfernte, hat ihren Grund darin, dass sie täglich ein Stück mehr von der Parteilinie abwichen. Gerade wegen der arbeitertümlerischen, „labouristischen“ Praxis funktionierten sie nicht mehr als Avantgarde der Klasse, sondern waren nurmehr ihr mechanischer Ausdruck innerhalb eines Wahl- und Korporationssystems, das den weniger bewussten und dem jeweiligen Eigeninteresse verhafteten Arbeiterschichten denselben Einfluss und das gleiche Gewicht zugestand wie der proletarischen Klasse. Die richtige Reaktion auf diese Entartung (auch schon vor dem Krieg und namentlich in Italien): die innerparteiliche Disziplin zu wahren, den Beitritt von nicht bedingungslos auf dem revolutionären Boden unserer Doktrin stehenden Elementen zu verhindern, den Parlamentsfraktionen und lokalen Organen jegliche Autonomie abzusprechen, die schwankenden Elemente aus der Partei zu entfernen. Wie sich gezeigt hat, ist diese Vorgehensweise das wirkliche Gegenmittel gegen den Reformismus, und sie ist Grundlage der Theorie und Praxis der III. Internationale. Für die Kommunistische Internationale gilt das Primat der zentralisierten, disziplinierten und eindeutig auf die Prinzipien und die Taktik ausgerichteten Partei; den Zusammenbruch der sozialdemokratischen Parteien „darf man keinesfalls als einen Zusammenbruch des proletarischen Parteiwesens im Allgemeinen darstellen“, er bedeutet vielmehr den Bankrott von Organismen, die vergessen hatten, dass sie Parteien waren, weil sie aufgehört hatten, welche zu sein.

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Gegen das kommunistische Verständnis der Parteifunktion richtet sich noch ein anderer Typus von Kritik, der als Reaktion auf die reformistische Versumpfung zutage trat. Es handelt sich dabei um die Einwände der syndikalistischen Strömung, für die die Klasse in den Gewerkschaften existiert und die in ihnen jene Organe sieht, die fähig sind, die Führung in der Revolution zu übernehmen.

Auch diese scheinbar von links kommenden Einwände, die – nach der klassischen Periode des französischen, italienischen, amerikanischen Syndikalismus – von Strömungen neu formuliert wurden, die der III. Internationale mehr oder weniger nahe stehen, lassen sich leicht auf halbbürgerliche Ideologien zurückführen, sowohl was die Kritik an den Grundsätzen als auch was die praktischen Ergebnisse betrifft.

Man will die Klasse in einer ihrer – sicherlich charakteristischen und sehr wichtigen – Organisationen auffinden: nämlich der Organisation, in der die Delegierten der Fachverbände vertreten sind, der Organisation, die vor der politischen Partei entstand, die sehr viel breitere Massen als letztere erreicht – und daher der Gesamtheit der Arbeiterklasse viel besser entspreche. Vom theoretischen Gesichtspunkt aus zeigt ein derartiges Kriterium nur einen unbewussten Kniefall vor derselben demokratischen Lüge, auf die die Bourgeoisie setzt, um ihre Herrschaft mittels der Aufforderung abzusichern, die Mehrheit des Volkes möge sich ihre Regierung wählen. Auch unter einem anderen theoretischen Aspekt bewegt sich diese Methode in Richtung der altbekannten bürgerlichen Ansicht: Vertraut man den Gewerkschaften die Organisierung der neuen Gesellschaft an, kommt auch sogleich die Forderung nach Dezentralisierung der Produktion und Autonomie ihrer verschiedenen Zweige auf; eine Forderung, die sich von denen der reaktionären Ökonomen nicht unterscheidet. Aber wir haben hier nicht vor, eine kritische Untersuchung der syndikalistischen Theorien zu leisten. Es soll reichen, wenn wir hier – kurz auf die Erfahrungen zurückgreifend – festhalten, dass sich die äußerste Rechte der Arbeiterbewegung stets jenen Standpunkt zu eigen gemacht hat, der die Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften vertreten lassen will, wohlwissend, damit die Merkmale der Bewegung, die wir kurz benannt haben, zu verwischen und abzuschwächen. Die Bourgeoisie selbst hegt seit neuestem eine alles andere als widersinnige Sympathie mit den gewerkschaftlichen Aktivitäten der Arbeiterklasse, insoweit Reformen im Staats- und Verwaltungsapparat durchaus begrüßt werden – jedenfalls von ihrem intelligentesten Teil. Womit dann die „unpolitischen“ Gewerkschafter mit ihrer Forderung, direkten Einfluss auf die Leitung der Industrie zu nehmen, zum Zuge kämen. Die Bourgeoisie spürt sehr gut, dass das System nicht angetastet werden wird, solange das Proletariat auf dem Boden der unmittelbaren und wirtschaftlichen Forderungen der jeweiligen Berufszweige steht, und dass sich damit jenes unheilvolle „politische“ Bewusstsein abwenden lässt, das als einziges revolutionär ist, weil es auf den wunden Punkt des Gegners zielt: die Machtergreifung.

Nun ist weder den alten noch den neuen Syndikalisten entgangen, dass das Gros der Gewerkschaften von Rechtselementen beherrscht war, dass sich die Diktatur der kleinbürgerlichen Führer über die Massen mehr noch als auf die Wahlgänge der sozialdemokratischen Pseudo-Parteien auf die Gewerkschaftsbürokratie stützte. Also machten sich Gewerkschafter und mit ihnen viele andere, die davon beseelt waren, gegen das reformistische Übel zu Felde zu ziehen, daran, neue gewerkschaftliche Organisationsformen zu suchen bzw. gründeten neue, unabhängige Gewerkschaften. Dieser Notbehelf war praktisch so wirkungslos wie theoretisch falsch: Man kam über das Grundkriterium der wirtschaftlichen Organisation (worin sich notwendig alle zusammenschließen, die sich aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess in einer bestimmten Lage befinden, ohne dass von ihnen besondere politische Überzeugungen und besondere praktische Verpflichtungen, was auch große persönliche Opferbereitschaft einschließen kann, verlangt werden) nicht hinaus; ebenso wie man das Kriterium des „Produzenten“ arg strapazierte, was die engen Grenzen der „Berufsgruppe“ nicht zu sprengen vermag. Allein die Klassenpartei, die die ganze Palette der Bedingungen und Tätigkeiten des „Proletariers“ überblickt, kann den revolutionären Klassengeist wecken.

Man sucht noch immer nach solchen Rezepten. Eine völlig verfehlte Auslegung des marxistischen Determinismus, eine bornierte Vorstellung von der Rolle, die die letztlich von ökonomischen Faktoren determinierten Bewusstseins- und Willensfaktoren bei der Herausbildung revolutionärer Kräfte spielen, lässt viele ein „mechanisches“ Organisationssystem anvisieren, worin sich die Masse, entsprechend der Stellung der Einzelnen in der Produktion, man möchte fast sagen: automatisch, sammeln ließe, um sich dann unweigerlich für die Revolution in Bewegung zu setzen und dabei größte revolutionäre Schlagkraft zu entwickeln. Es taucht wieder die illusorische Lösung auf, wonach sich die tägliche Bedürfnisbefriedigung unmittelbar mit dem Endresultat des Umsturzes des gesellschaftlichen Systems dadurch verknüpfen ließe, dass eine Organisationsform die alte Frage des Gegensatzes zwischen den begrenzten und graduellen Errungenschaften und der höchsten Verwirklichung des revolutionären Programms löst. Doch, wie die Mehrheit der KPD in einer ihrer Resolutionen richtig feststellte (als diese Fragen in Deutschland besonders akut waren und in der Folge zur Abspaltung der KAPD führten): Die Revolution ist keine Frage der Organisationsform.

Die Revolution braucht einen Organismus aktiver und positiver Kräfte, die durch Lehre und Zielsetzung gebündelt werden. Breite Schichten und zahllose Individuen, die der Klasse, in deren Interesse die Revolution siegen wird, materiell angehören, befinden sich außerhalb dieser zusammengeballten Kraft. Aber die Klasse lebt, kämpft, geht voran und siegt durch das Werk jener Kräfte, die sie in den Geburtswehen der Geschichte aus ihrem Schoß hervorgepresst hat. Die Keimzelle der Klasse ist die unmittelbare Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Bedingungen, und dies erscheint als erste Triebkraft zur Überwindung, zur Zerschlagung, des bestehenden Produktionssystems. Um aber diese gewaltige Aufgabe zu erfüllen, braucht die Klasse ihre Lehre, ihre kritische Methode, ihren Willen, die darauf gerichtet sind, das einzulösen, was Analyse und Kritik vorweggenommen haben; braucht sie ihre Kampforganisation, die die Anstrengungen und Opfer so kanalisiert und einsetzt, dass die größtmögliche Wirkung erzielt wird. In all dem besteht das Dasein der Partei.

Erstmals erschienen in: „Partito e classe“: Rassegna Comunista, Nr. 2, 15. April 1921.

Internationale Kommunistische Partei

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