WAS UNSERE PARTEI KENNZEICHNET: Die politische Kontinuität von Marx zu Lenin bis zur Gründung der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Italiens (Livorno 1921); der Kampf der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale, gegen die Theorie des “Sozialismus in einem Land” und die stalinistische Konterrevolution; die Ablehnung von Volksfronten und des bürgerlichen Widerstandes gegen den Faschismus; die schwierige Arbeit der Wiederherstellung der revolutionären Theorie und Organisation in Verbindung mit der Arbeiterklasse, gegen jede personenbezogene und parlamentarische Politik.


 

Ähnlich des zweiten imperialistischen Weltkrieges, dessen Ausbreitung und Blockbildung, die ihn aller Welt erst erkennbar gemacht hatte, sich über mehrere Jahre erstreckte (vom spanischen Bürgerkrieg über den deutsch-sowjetischen Pakt bis zur deutschen Besetzung Frankreichs), ist auch die heutige Entfaltung des Weltkrieges durch scheinbar separate Ereignisse geprägt und durch eine überbordende ideologische Propaganda vernebelt.

Während es vor der Küste Chinas, dem zu erwartenden Zentrum des neuen Weltkrieges, vorerst bei diplomatischen und militärischen Manövern bleibt, wird der Krieg zwischen der USA/NATO mit ihren ukrainischen Vasallen und Russland von der hiesigen Regierungspropaganda und ihren „linken“ Nachbetern als nationaler Unabhängigkeitskrieg der Ukraine zur Verteidigung einer demokratischen und vermeintlich offenen Gesellschaft verkauft. Eine Minderheit sieht in einem „bedrohten“ Russland den zu unterstützenden Bündnispartner gegen die hegemoniale USA und ihre ja wirklich verachtenswerte „freie Welt“. Die neu entbrannte Kriegsfront im Nahen Osten wird wahlweise als notwendige Verteidigung der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ gegen den islamistischen Terror verkauft, eine Position die mit Verweis auf den eliminatorischen Antisemitismus der Nazis auch gleich noch mit der moralischen Keule des „Antifaschismus“ durchgeboxt werden soll, oder als gerechter antikolonialer Kampf des palästinensischen Volkes gegen den zionistischen Siedlerstaat für ein „freies Palästina“ durch die vergilbten Drei-Welten-Brillengläser des Antiimperialismus entziffert.

Wir sehen klar die zunehmenden Kriegsherde als sich formierende Fronten des dritten Weltkrieges. Auf den jeweils spezifisch geprägten Konfliktfeldern wirkt eine Gemengelage durchaus auch divergierender imperialistischer Interessen großer und kleiner Akteure, die sich – der im Kapitalismus zwangsläufigen Dynamik von Konkurrenz und Konzentration folgend – um die beiden dominierenden Machtblöcke (USA/NATO und ihre Verbündeten sowie Russland/China und ihre Verbündeten) gruppieren. In den ideologischen Argumentationslinien der Kriegsparteien gefangen, die tieferen ökonomischen Hintergründe des sich ausbreitenden Weltgemetzels ignorierend und vor allem bar jeder materialistischen Klassenanalyse dilletiert demgegenüber die sog. „Linke“ als Möchtergerndiplomat auf dem entbrannten weltgeschichtlichen Parkett.

Die Erblast der stalinistischen Konterrevolution und des Antifaschismus

So entgegengesetzt die Positionen erscheinen mögen, die die diversen pseudo-kommunistischen Organisationen in den aktuellen Kriegen einnehmen, sie sind unisono ein Erbe der Verflachung und Verfälschung des Marxismus. Nehmen wir willkürlich zwei besonders prägnante Haltungen: Eine stalinistische Gruppe Namens „Gegen die Strömung“, die im Gegensatz zu den meisten Organisationen ähnlicher Provenienz eine klare Pro-Israel-Haltung an den Tag legt, argumentiert rein ideologisch mit dem Antisemitismus der Hamas und der NS-kollaborationistischen Geschichte der Muslim-Bruderschaft, um dann – identisch der israelischen Regierung – eine legitimatorische Parallelität in der Kriegsführung Israels und der „Antihitlerkoalition“ herzustellen. Das Ergebnis dieser Politik ist offenkundig nicht revolutionär sondern affirmativ und legitimiert (damals wie heute!) den Terror gegen das Proletariat und die Verhinderung des Klassenkampfes. Auf der anderen Seite stehen die klassischen Antiimps der „Roten Hilfe International“, die sich die „Unterstützung aller Völker, die sich im Widerstand gegen Kolonialismus, Neokolonialismus und Imperialismus befinden“ auf die Fahne geschrieben haben und in einer Erklärung vom 27. Oktober bezüglich ihrer Freunde von der PFLP, die in einer Front mit der Hamas kämpfen, schreiben: „Die linken Kräfte des palästinensischen Widerstands zu unterstützen bedeutet auch, die taktischen und strategischen Entscheidungen zu akzeptieren, die sie glauben treffen zu müssen.“ Hier wird die Klassenanalyse im Volksbegriff ertränkt und jede auf einer klaren Programmatik und den historischen Erfahrungen beruhende Strategie und Taktik des Klassenkampfes durch eine bedingungslos zu unterstützende Subjektivität der unmittelbar Kämpfenden ersetzt. Ein weiteres Blitzlicht in der Verballhornung des Marxismus bot der ägyptische „Revolutionäre Sozialist“ Hossam el-Hamalawy, der im November in der Berliner linken Szene für einen mittelschweren Skandal sorgte, als er auf einer Veranstaltung in einem Szeneladen in Berlin die Einheitsfront mit der Hamas propagierte. In einem Interview in der Jungen Welt erklärte er dazu, dass die Marxisten in Europa sich „nicht in die Angelegenheiten des globalen Südens einmischen“ sollten: „Wenn es um die Kräfte der Befreiung dort geht, kann man sie sich nicht beliebig aussuchen, um sich selbst gut zu fühlen. Lenin hat nationale Befreiungsbewegungen in aller Welt unterstützt, die nicht unbedingt sozialistisch waren.“ (JW vom 23.11.2023)

Die Argumentation dieser vermeintlichen „Leninisten“ baut auf die Unkenntnis der wirklich marxistischen Haltung zur nationalen Frage im proletarischen Emanzipationskampf bzw. ist selbst Ausdruck ihrer Verflachung. Die analytisch tiefschürfende und programmatisch klare Haltung von Marx und Lenin, die von den Stalinisten zu einem opportunistischen Kramladen taktischer Beliebigkeit verwandelt wurde, liefert die einzige Grundlage, um in der komplexen Realität auf dem Weg des proletarischen Klassenkampfes zu bleiben.

Die Nation ist für die kommunistische Linke und internationale Kommunist:innen kein Wert an sich, die nationale Frage keine metahistorische. So hat z.B. Lenin in seiner Schrift über das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ von 1914 betont, dass die Arbeiterklasse „am allerwenigsten aus der nationalen Frage einen Fetisch machen“ darf. Ja, er forderte die „Unterstützung des Fortschrittlichen“, wenn „nationale Massenbewegungen einmal entstanden sind“, aber ihm war klar, dass die Entwicklung des Kapitalismus „nicht unbedingt alle Nationen zu selbständigem Leben erweckt“. (alles LW Bd. 20, S.442) Und das ist uns Kommunist:innen, denen es um die egalitäre Aufhebung der Nationen geht, sogar egal! Marx und Lenin hatten nur insofern ein Interesse an der Nation und nationalen Befreiungsbewegungen, als dass sie den proletarischen Klassenkampf befördern können. Lenin, in der schon zitierten Schrift: „Wir können uns nicht für diesen oder jenen Weg der nationalen Entwicklung verbürgen, wir verfolgen auf allen möglichen Wegen unser Klassenziel.“ (ebenda, S.416)

Der Marxismus ist im 19. Jahrhundert entstanden, als die Nation noch ein positiver Bezugspunkt in der revolutionären Durchsetzung des Kapitalismus sowohl für die Bourgeoisie als auch das Proletariat war, während der sich international entwickelnde eigenständige proletarische Klassenkampf gleichzeitig schon die Vaterlandslosigkeit des Proletariats konstituierte. Marx und Engels unterstützen Zeit ihres Lebens die nationalen Bewegungen, die die feudale Reaktion schwächten und der Durchsetzung des modernen, damals noch fortschrittlichen Kapitalismus dienten. So wie die nationale Bewegung dem (antifeudalen) Klassenbündnis des Proletariats mit der Bourgeoisie entspricht, so entspricht die bedingungslose Internationalität und auch Antinationalität des Proletariats ihrem zugespitzten Klassenkampf. Die dialektische Verbindung von beidem führte zum marxistischen Konzept der doppelten Revolution (zusammen mit der Bourgeoisie gegen den Feudalismus, aber auch eigenständig gegen die Bourgeoisie, um so unmittelbar auf die bürgerliche die proletarische Revolution folgen zu lassen). Als sich 1871 die gegeneinander Krieg führende deutsche und französische Bourgeoisie gegen die Pariser Kommune verbündete, war das für Marx und Engels das Zeichen für das Ende eines jeden Klassenbündnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie im entwickelten Europa. Lenin verteidigte diesen Epochenwechsel gegen die Sozialchauvinisten im Ersten Weltkrieg, die das historisch überholte Bündnis beibehalten wollten. Für die „Völker des Ostens“, wo noch die bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand, galt nach wie vor das Konzept der doppelten Revolution. Dieses wurde von den Stalinisten allerdings in ein Etappenmodell umgedeutet (erst die bürgerliche Revolution durch eine vom Proletariat assistierte Bourgeoisie, dann die proletarische Revolution), wodurch Ende der 20er Jahre sowohl die nationalen als auch die proletarischen Bewegungen erwürgt wurden (Höhepunkt war die Niederlage der chinesischen Revolution). Dieses „Etappenmodell“ wurde dann in den 30er Jahren mit dem Konzept des Antifaschismus auch auf die imperialistischen Zentren angewendet (erst antifaschistische Demokratie dann – vielleicht - „Sozialismus“), wodurch das Proletariat der bürgerlich-demokratischen Ideologie untergeordnet und der Klassenkampf verraten wurde. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Schwäche der alten Kolonialmächte (England, Frankreich) und auch befördert durch die bürgerliche chinesische Revolution kam es zu einem Wiedererwachen des antikolonialen Kampfes, den wir im Sinne der doppelten Revolution unterstützten und von dem wir genauso wie Marx und Engels im 19. Jahrhundert auch das Erwecken des Klassenkampfes in den Metropolen erhofften. „Für den Marxismus ist die Revolution ein internationaler Akt, eine Kette, deren Glieder in wechselseitiger Wirkung zueinander stehen: Die antikoloniale Bewegung mit den proletarischen Bewegungen und umgekehrt.“, schrieben wir 1960 in dem Beitrag „Der stürmische Aufbruch der 'farbigen Völker' aus marxistischer Sicht“. Mit der weltweiten Durchsetzung der modernen kapitalistischen Entwicklung, der Proletarisierung der Bauern und der Dominanz des neuen Klassenwiderspruchs auch in den sich formierenden Nationen sowie des Wechsels der kleinen „nationalen Bourgeoisien“ von einer revolutionären zu einer reaktionären Dynamik endete in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – wie 100 Jahre zuvor in den Metropolen - die bürgerlich-revolutionäre Phase auch in der sog.„Dritten Welt“ /dem globalen Süden.

Palästina – das letzte Überbleibsel des klassischen Kolonialismus?

Marx und Engels haben am Beispiel Englands die fatale Rolle des Kolonialismus und der nationalen Unterdrückung Irlands aufgezeigt, die die englische Arbeiter:innenklasse korrumpiert und zum Klassenfrieden mit ihren Ausbeutern geführt hat. Sie haben damals die irische Unabhängigkeitsbewegung unterstützt, um den englischen Kolonialkapitalismus zu destabilisieren und den Klassenkampf zu befördern.

Die kapitalistische Ausbeutung beruht auf der formalen Gleichheit der Menschen und der Mehrwertproduktion der „freien“ Lohnarbeit. Das war allerdings nicht immer so. Am Anfang des doppelt freien Lohnarbeiters stand seine gewaltsame Trennung von den bäuerlichen Produktionsmitteln, von Marx als bluttriefende ursprüngliche Akkumulation beschrieben. Der Kolonialismus war die Fortführung dieser gewaltsamen, außerhalb des „freien Marktes“ stehenden Akkumulation zur Beförderung der kapitalistischen Entwicklung der Unterdrückernationen (und der Konservierung der ökonomischen Rückständigkeit der unterdrückten Nationen). In seinem historischen Krisenstadium hat der Kapitalismus die außerökonomische Gewalt zum Dauerzustand erhoben, um seine Macht zu sichern – bis zur kriegerischen Vernichtung der Produktivkräfte (von Menschen und Maschinen) um aus den Überproduktionskrisen raus und in neue Akkumulationszyklen rein zu kommen.

Auch für das blutige Drama, das sich in Palästina abspielt, liegt die Ursache im Kapitalismus. Die kapitalistische Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre brachte die materiellen Ursachen der Judenvernichtung (die Projizierung der kapitalistischen Krisenursache auf die „raffgierigen Juden“ war nur der ideologische Ausdruck). Die Vernichtung und Vertreibung der zur kapitalistischen Überbevölkerung erklärten Juden (die keiner haben wollte!) war die Triebfeder der israelischen Staatsgründung, die ihrerseits mit einer Vertreibung der arabischen Bevölkerung einherging. Die systematische Vertreibung der palästinensischen Bauern, die schon während der britischen Mandatszeit begann und mit der Gründung Israels forciert wurde, hat nicht nur unendliches Leid gebracht, sondern entsprach auch der ursprünglichen Akkumulation des (israelischen) Kapitalismus. Unter dem Banner des israelischen Heldenmythos vollzog der Staat Israel nur das, was seit Jahrhunderten die weltweite Konstitutionsbedingung des Kapitalismus war: Die Enteignung der Bauern und die Schaffung von Lohnarbeitern. Mit der Schaffung eines palästinensischen Proletariats hat er aber auch ungewollt die objektivenVoraussetzungen der proletarischen Einheit und des revolutionären Kampfes geschaffen, die allerdings durch nationalistische und religiöse Hetze immer wieder unterminiert wird.

Seit seiner Existenz hat der Staat Israel die Ausbeutung der freien Lohnarbeit kombiniert mit einer abgestuften politischen Rechtlosigkeit der arabischen Bevölkerung. Der zionistische Klassenkompromiss basiert auf der Extraausbeutung der arabischen Proletarier. Insofern agiert Israel als klassischer Kolonialstaat, der die nationale Unterdrückung zur Stabilisierung des Kapitalismus der herrschenden Nation nutzt. Daran änderte auch die von der internationalen Diplomatie eingerührte vermeintliche „Zwei-Staaten-Lösung“ nichts. Deren Initialisierung durch separierte Territorien abgestufter Selbstverwaltung und israelischer Kontrolle (Gaza und Westjordanland) ist in Wirklichkeit eine neokoloniale Integration der palästinensischen „Autonomiegebiete“ in den israelischen Wirtschaftsraum.

200.000 palästinensische Arbeiter:innen aus den „Autonomiegebieten“ arbeiteten vor dem aktuellen Krieg in Israel bzw. den israelischen Siedlungen. Sie sind für Israel billige Arbeitskräfte mit „outgesourcten“ Reproduktionskosten und flexibel verfügbar: Überflüssige Arbeitskräfte können in der agrarischen Subsistenzproduktion der Autonomiegebiete geparkt werden. Die Autonomiegebiete sind Absatzmarkt der israelischen Waren und Lieferanten von Halbprodukten für die israelische Produktion, ein „freier Handel“ ist für die Palästinenser nicht möglich. Die palästinensische Autonomiebehörde agiert dabei als Kompradorenbourgeoisie Israels. Sie verdient an der Vermittlung der Arbeits- und Aufenthaltstitel der palästinensischen Proletarier, Vergibt Lizenzen für den Handel und profitiert auch von Dienstleistungen im Bereich der Infrastruktur. Auch die Hamas, die bekanntermaßen nicht so willfährig dem israelischen Kolonialsystem dient, finanziert sich auf Kosten der palästinensischen Proletarier. Nicht nur, dass sie z.B. monatlich 15 Dollar von der 100-Dollar-Hilfe, die Katar den ärmsten Familien des Gazastreifens schickt, einbehält. Sie stellen auch den von Israel gelieferten und von der Autonomiebehörde gezahlten Strom in Rechnung. Ihre parasitäre Kriegsökonomie richtet sich unmittelbar gegen die Existenzbedingungen der palästinensischen Proletarier. So hat dann z.B. auch der Einbau neuer Stromzähler verbunden mit der Forderung nach Vorauszahlungen durch die Hamas-„Behörde für Energie und natürliche Ressourcen“ im letzten Sommer zu zum Teil militante Demonstrationen im Gazastreifen geführt.

Sowohl die israelische als auch die palästinensische Gesellschaft sind Klassengesellschaften, die der Dynamik der kapitalistischen Entwicklung unterworfen sind. Der durch die ökonomische Krisenentwicklung notwendig gewordene Umbau des israelischen Sozialstaates, der in den 70er und 80er Jahren noch geprägt war durch große Unternehmen des Staates und der Einheitsgewerkschaft Histadrut, die 40% der Arbeitenden des Landes beschäftigten, und eine Industrie mit niedriger Kapitalintensität (Nahrungsmittel, Bekleidungsindustrie...), führte einerseits zu einer intensiven Entwicklung hochtechnologischer Bereiche, die heute dominieren und gleichzeitig zu einem sozialen Angriff auf die israelische Arbeiter:innenklasse. Durch eine intensive Einwanderungspolitik konnte der israelische Staat auch mit einer ständigen Neuzusammensetzung der ohnehin schon gespaltenen Arbeiter:innenklasse reagieren (hochqualifizierte Einwanderer aus Russland für die neuen Industrien oder Billigarbeitskräfte aus Asien und Osteuropa, die nach den palästinensischen Arbeiterstreiks der ersten Intifada die Plätze palästinensischer Proletarier auf Baustellen und in der Landwirtschaft einnahmen). Gleichzeitig benutzt Israel den zunehmenden Siedlungsbau auch als sozialen und politischen Stoßdämpfer für das israelische Proletariat, das dadurch Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten bekommt und weiterhin dem zionistischen Staat verbunden bleibt – natürlich auf Kosten der palästinensischen Proletarier. In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der in den Siedlungen lebenden Israelis von 270.000 auf 730.000 gestiegen. Heute tragen die Siedlungen jährlich etwa 30 Milliarden Dollar zur israelischen Wirtschaft bei. Die ökonomische Krise wird durch den permanenten Kriegszustand auf beiden Seiten verstärkt. Die Lebenshaltungskosten in Israel gehören zu den höchsten der Welt und liegen fast 40% über dem OECD-Durchschnitt. Selbst der zionistische Hardliner Netanjahu warb vor seiner Wahl im November 2022 damit die Lebenshaltungskosten zu senken, die eine ernsthafte „Bedrohung für die Einheit des jüdischen Volkes“ geworden seien. Im Gazastreifen schrumpfte die Wirtschaftsleistung pro Kopf zwischen 2006 und 2022 um 37 Prozent, waren 46 Prozent Arbeitslos und 80 Prozent der Bewohner auf internationale Hilfe angewiesen.

Antikolonialer Kampf oder Klassenkampf?

Wenn wir es bei Israel also mit einem ziemlich klassischen Kolonialstaat zu tun haben, warum ist dann der nationale Unabhängigkeitskampf – ähnlich dem irischen zu Zeiten von Marx und Engels – keine Option für die revolutionäre Entwicklung? Schon nach dem Zweiten Weltkrieg, als es eine starke Welle militanter Kämpfe gab, die das alte Kolonialgefüge erschütterten und große Gebiete eine eigenständige kapitalistische Entwicklung beschritten (China, Indien), zeigte sich die arabische Bourgeoisie - trotz allem Gerede von der Einheit der „arabischen Nation“ - als nationalistisch borniert, feige und kompromisslerisch. In unserem theoretischen Text der Generalversammlung vom Herbst 1979 über „den Abschluß der bürgerlich-revolutionären Phase in der 'Dritten Welt'“ schrieben wir dazu: „Nach dem Krieg von 1973 verständigte sich die ägyptische Bourgeoisie direkt mit Israel, d.h. mit dem Brückenkopf des Imperialismus in der Region, der vollkommen zu Recht während der ganzen vorhergehenden Periode als der zu vernichtende Feind gebrandmarkt worden war. Der konterrevolutionäre Einmarsch der syrischen Truppen in den Libanon 1976 zeigte dann auch denjenigen, die noch Illusionen in den progressiven Charakter der syrischen Bourgeoisie hatten, daß dieser Verfechter par excellence der arabischen Nation die Ordnung und den sozialen Status Quo noch der Einheit vorzog.“ Es kann keine „Einheit der arabischen Staaten“ geben, die aus konkurrierenden Bourgeoisien bestehen. Die lange Kette des „Verrats“ der großen und kleinen arabischen Bourgeoisien am nationalen Befreiungskampf hatte seine Grundlage im zunehmenden Klassenwiderspruch ihrer kapitalistischen Ökonomien. Sie standen in immer offenerer Feindschaft gegen das eigene Proletariat, eine Feindschaft die größer war und ist als die Feindschaft gegenüber dem Imperialismus. Die internationale Dynamik ist seit Jahrzehnten nicht mehr (antikolonial) revolutionär sondern imperialistisch. Dies führt dazu, dass selbst die kleinen Lumpenbourgeoisien wie die Hamas nur noch einen vom Imperialismus (Katar, Iran...) abhängigen militarisierten Kampf führen (auch im Gegensatz zur ersten Intifada, die noch von Streiks und Massenmilitanz geprägt war), der statt mehr Bewegungsfreiheit für die proletarische Organisierung nur mehr Unterdrückung bringt. Sie steht nicht für eine revolutionäre, sondern für eine reaktionäre Dynamik. Die hohle Phrase eines „freien Palästinas“ ist nur die Rechtfertigungsideologie einer nach größerer staatlicher Macht lechzenden palästinensischen Bourgeoisie auf Kosten des Proletariats, was im Mikrokosmos von Gaza und Westbank schon zu sehen war. Vor diesem Hintergrund schrieben wir bereits 2006 in einem Grundsatzartikel über „Marxismus und nationale Frage“: „In dieser Situation hat das palästinensische Proletariat bereits die realen Folgen der lang ersehnten 'nationalen Unabhängigkeit' erfahren, so begrenzt und partiell sie auch sind. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für die Klassenpartei, im Namen des palästinensischen Proletariats nicht die 'nationale Verteidigung' zu fordern, sondern die Möglichkeit der Rückkehr zwischen die israelischen Grenzen mit Rechten, die denen der Israelis völlig gleich sind: Dies würde das Ende der jüdischen Privilegien und der materiellen Formen der nationalen Unterdrückung der Palästinenser bedeuten. In diesem Fall geht es darum, innerhalb des Staates Israel selbst gleiche materielle Rechte für das arabische Proletariat zu garantieren. Nur unter dieser Bedingung wird die arabische Arbeiterklasse in der Lage sein, die israelischen Proletarier als ihren natürlichen Verbündeten anzuerkennen, oder – besser – als ihre Klassenbrüder.“

Auch im aktuellen Krieg im Nahen Osten, der - wie schon gesagt - nur eine weitere Front des kommenden imperialistischen Weltkrieges markiert, ist die einzige proletarische Position die des revolutionären Defätismus. Das heißt auch für die proletarischen Massen Palästinas „sich auf dem Boden eines offenen Klassenkampfes gegen alle raffgierigen Bourgeoisien der Region zu etablieren, um ihre materiellen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verteidigen, ein Kampf der in der Lage ist, Arbeiterklassen gemischter Nationalität in einer einzigen Front zu vereinen und der durch den offenen antikapitalistischen Kampf des Proletariats in den imperialistischen Zentren besiegelt werden muss.“ (ebenda)

Die einzig wirkliche Solidarität mit den proletarischen Massen in Palästina ist die Entfaltung des Klassenkampfes in den Metropolen auf der Grundlage der universellen Ablehnung eines Klassenbündnisses mit der Bourgeoisie. Die illusionäre Solidarität mit einem klassenübergreifenden „antikolonialen Kampf“ führt stattdessen nur in den Sumpf der imperialistischen Diplomatie und des imperialistischen Krieges!

Februar 2024

INTERNATIONAL COMMUNIST PARTY PRESS
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