Amazon: Ein Arbeitskampf, den es noch nicht gibt

Pubblicato: 2018-12-13 20:43:11

Am 24. November 2017 wurde bei Amazon an sechs Standorten in Deutschland und an einem Standort in Castel San Giovanni (Piacenza) ein Streik ausgerufen.[1] Dieser Standort befindet sich in einem weitläufigen Gebiet, in dem sich mehrere Logistikzentren entlang der Verkehrsachse Mailand-Piacenza-Bologna befinden und wo Tausende von Arbeitnehmern beschäftigt sind, die in vielen Betrieben große Kampfbereitschaft zeigten. In der Region Emilia Romagna sind im Bereich Transporte und Logistik etwa 92.000 Mitarbeiter beschäftigt (in der Lombardei 90.000); in der Provinz Piacenza 9.600, davon etwa 5.000 allein in der Stadt Piacenza, wie die die Statistiken des Nationalen Instituts für Statistik (ISTAT) aus dem Jahre 2014 zeigen. Und in den letzten 3 Jahren wuchs dieser Bereich immer mehr.

Alle Streiks in den Amazon-Logistikzentren verfolgen dasselbe Ziel, obwohl weder eine tatsächliche Koordination noch eine gemeinsame Plattform besteht: Überall fordert man Lohnerhöhungen und überall prangert man die Arbeitsbedingungen (intensiver Arbeitsrhythmus und gesundheitsgefährdendes Umfeld) an. Die Arbeit erfolgt in drei Schichten, die 24 Stunden am Tag abdecken, wobei ein großer Gebrauch von Überstunden gemacht wird. Der Streik, der mit dem berüchtigten Black Friday zusammenfiel, hätte dem Konzern angesichts einer zu erwartenden Auftragsspitze Schaden zufügen sollen; doch blieb er am Ende bloß symbolisch und erzielte keinerlei Ergebnisse. An allen Standorten in Deutschland und Italien wurde weitergearbeitet; auch wenn man der Annahme der Gewerkschaften Glauben schenkt, wonach in Piacenza die Hälfte der 1600 unbefristet Beschäftigten gestreikt haben soll, nahmen immerhin 2000 Leiharbeiter nicht am Arbeitskampf teil und zwar weil sie den Anweisungen der Gewerkschaften nachkamen, die somit bewiesen, dass sie gar nicht vorhatten, dem Arbeitgeber Amazon Schaden zuzufügen. Alle unbefristet Beschäftigten des Standortes von Castel San Giovanni fingen als überlassene Arbeitnehmer an, d.h. als von Zeitarbeitsfirmen vermittelte Leiharbeitskräfte – diese Firmen sind moderne Versionen der „caporali“, die die illegale Anwerbung von Landarbeitern betreiben. In den Tagen vor dem Streik legte das Amazon-Management den jetzigen Leiharbeitnehmern nahe, nicht teilzunehmen, denn eine Teilnahme, so drohten sie, hätte eine unbefristete Einstellung erschwert.

Man muss betonen, dass Amazon aufgrund seiner internationalen Struktur mithilfe von der per Software und Informationstechnologie erfolgenden Verwaltung der Logistik die Auswirkungen eines Streiks an einem einzigen Standort einschränken kann, indem Arbeit und Versand auf andere Standorte verlagert werden. Angesichts der Internationalisierung des Kapitals ist es für die Arbeiterklasse notwendiger denn je, auf der gleichen Ebene zurückzuschlagen. Andererseits ist es klar, dass man einen langen Weg zurücklegen muss, um von dieser Einsicht zu einem tatsächlichen Bewusstsein der Notwendigkeit einer internationalen Strategie zu gelangen; es bedarf der Erfahrung und des Arbeitskampfes innerhalb der Arbeiterorganisationen. Am 24. November versammelten sich die Arbeiter unter den ausgerollten Fahnen der drei großen Gewerkschaftsverbände vor dem Amazon-Standort in Castel San Giovanni, um eine friedliche Demonstration zu fordern. Wohlwissend, dass sie die Produktion nicht verhindern und Leiharbeitnehmer und Lastwagen für den Warenversand durchlassen würden!

Diesem Streik schlossen sich jedoch auch andere Arbeitnehmer des Bereichs Logistik an, die bereits Arbeitskämpfe hinter sich hatten, oder sich gerade in einer ähnlichen Situation befanden, und die von den Basisgewerkschaften angeführt wurden: Mit dem Megaphon forderten diese zu einem echten Streik auf, also dazu, mit Streikposten den Warenversand zu verhindern. Denn in Norditalien erzielten viele Arbeitskämpfe im Bereich Logistik durch Streiks und Streikposten, die die Produktion verhinderten, Errungenschaften – unzulängliche Teilerrungenschaften natürlich, aber immerhin Errungenschaften. Diese Erfahrungen und diese reale Lage sind der heutige Ausgangspunkt des langen und mühseligen Wegs, den das Proletariat zurücklegen muss, um seinen Arbeitskampf wieder aufzunehmen: Auf der einen Seite die – für eine friedliche Kundgebung – immer noch von den drei großen Gewerkschaftsverbände an der Leine gehaltenen Amazon-Arbeitnehmer – auf der anderen die Basisgewerkschaften, die zu einem echten Streik aufriefen; zwischen ihnen die Polizei, der bewaffnete Flügel des Staates. Das war der 24. November! Spaltung. Gescheiterter Streik. Polizei. Selbstverständlich tragen dafür nicht diejenigen die Verantwortung, die unter der Führung der Basisgewerkschaften den kämpfenden Amazon-Arbeitnehmern ihre Solidarität kund taten und vor allem ihre Erfahrung einbrachten.

Am 20. Dezember 2017 finden am Amazon-Standort in Piacenza neue Arbeitskämpfe statt. Wie üblich nimmt Amazon nicht am Treffen mit den drei großen Gewerkschaftsverbänden und dem Präfekten teil. Die drei großen Gewerkschaftsverbände erklärten, dass “Amazon den Staat verachtet[2] und begaben sich unter Polizeibegleitung in das Logistikzentrum, um dort Versammlungen abzuhalten! Ein mehrtägiger Streik wurde ausgerufen, der – hört her! – sogar zwei Stunden pro Schicht betrug; am ersten Tag nahmen laut Angaben der Gewerkschaften 400 Arbeitnehmer am Streik teil, aber an den folgenden Tagen wurde der Arbeitskampf trotz aller Erklärungen nicht weitergeführt. Wieder einmal verhielten sich die drei großen Gewerkschaftsverbände wie brave Feuerlöscher, die Wille und Bedürfnis der Arbeiter zum Kampfe vernichten.

Befristete Arbeitsverträge kennzeichnen alle Amazon-Standorte in Europa und weltweit. In den Vereinigten Staaten rekrutiert Amazon seine Arbeitskräfte durch das sogenannte Programm Camperforce, einer aus Wanderarbeitern bestehenden Arbeitseinheit: Die sogenannten Workampers leben in Wohnwagen und Autos und sind als Saisonarbeiter tätig; wie tausend andere befristete Arbeitskräfte, werden sie zur Bewältigung von Auftragsspitzen eingestellt. Bis 2020 soll laut Schätzungen der Firma einer von vier Wanderarbeitern in den Vereinigten Staaten für Amazon gearbeitet haben. Gemeinsam mit der Lohnsenkung und der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen gehört all das zum weitläufigen Angriff des Kapitals gegen das Proletariat. Ein neuer Ausdruck bezeichnet den maximalen Ausbeutungsgrad: die Amazon-Methode. Erst wird der Arbeitnehmer verheizt und dann wird er einfach auf die Straße gesetzt. Bei Amazon wechselt das Personal sehr oft, die Arbeitnehmer werden angeregt, nach ein paar Jahren zu gehen. Für uns sind das nur Bestätigungen der üblichen Methoden des Kapitals. Die Zeitung “La Repubblica” vom 25.11.2013 informierte uns darüber, dass in Deutschland “Schröders Reformen letztendlich den Arbeitsmarkt gespalten haben, indem sie die Arbeiterklasse in zwei Teile spalteten: Auf der einen Seite die gut bezahlten, von starken Gewerkschaften beschützten Festangestellten […]; auf der anderen Millionen, die als Mitarbeiter in der Dienstleistungsbranche (in den Bereichen Logistik und Versand, in den Supermärkten und Flughäfen) den Mindestlohn erhalten, deren Arbeitsverhältnisse oft prekär sind, mit geringeren Lohnzuschlägen bei Überstunden, mit geringerem Krankengeld und mit weit weniger Schutz durch Gesetze und Gewerkschaften”. Auch “The Guardian” äußerte sich am 25.11.2013 zu Deutschland: “Im vergangenen Winter erhielten die vor den Weihnachtsfeiertagen eingestellten befristet Beschäftigten Amazons, überwiegend Spanier und Osteuropäer, nicht nur keinen Zuschlag für Überstunden und Feiertagsarbeit; sie wurden auch einen Euro weniger als versprochen bezahlt und von den Sicherheitskräften eines externen Dienstleisters schikaniert. Bisher haben es die Arbeitnehmer durchgesetzt, dass Amazon ihnen einmalig ein dreizehntes Monatsgehalt bis zu 500 Euro ausbezahlte, aber nur bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Amazon ist dabei, 3 neue Verteilzentren in Polen zu eröffnen, und das könnte den Arbeitskampf seiner Mitarbeiter in Deutschland schwächen. Amazon Deutschland erklärte, dass es die dieses Jahr benötigten 14.000 Saisonarbeiter in Deutschland und nicht in den Nachbarländern anwerben wird. Da es um weitgehend standardisierte Arbeitstätigkeiten geht, ist Amazon im Stande, Saisonarbeiter in wenigen Tagen unter den unqualifizierten, von Zeitarbeitsfirmen und Jobcentern vermittelten Arbeitskräften zu rekrutieren. In Brieselang gibt es bereits 12.000 Mitarbeiter, 300 davon unbefristet, 800 befristet; fast alle waren zuvor Langzeitarbeitslose; in diesem Gebiet gibt es 10.500 ALG-Empfänger. 4 Tage reichen aus, um angelernt zu werden“.

Hier bei uns fordern die drei großen Gewerkschaftsverbände lauthals eine „europäische Gewerkschaftsunion”, um europaweite Arbeitskämpfe zu organisieren; sie erinnern an “die große Pariser Demonstration; die Arbeiter des Konzerns prangern in Frankreich dieselben Missstände an, denen wir uns hier widersetzen”.[3] Doch die von den drei großen Gewerkschaftsverbänden eingesetzte Strategie widerspricht deutlich den hochtrabenden Reden: sie tun weiterhin nur so, als ob sie auf lokaler Ebene kämpfen würden, um Amazon zu einer Verhandlung zu drängen und jammern weiterhin, weil sie es nicht schaffen. Uns ist klar, dass der Vergleich zwischen dem, was in Piacenza, und dem, was im Rest der Welt geschieht, von großer Bedeutung ist und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Verteidigungskampfes aufzeigt.

Denn zu diesen Bedingungen ist jeglicher friedliche und nur lokale Arbeitskampf zum Scheitern verurteilt. Deswegen sagen wir ein für allemal: Schluss mit friedlichen Kundgebungen und lächerlichen Streiks, ohne Streikposten und ohne Verhinderung des Warenversands. Schluss mit Dialogversuchen! Arbeitgeber und Manager „überredet“ man nur dann zu Verhandlungen, wenn man sie erst einmal um einen Millionengewinn bringt, indem man Produktion und Distribution blockiert! In Piacenza gehen die drei großen Gewerkschaftsverbände auf jeden einzelnen Arbeiter zu, um sein Misstrauen gegenüber der Gewerkschaft abzubauen und ihn davon zu überzeugen, dass sie seine Lage verbessern wollen: Sie tun so, als ob sie sich um die Bedürfnisse der Arbeiter kümmern würden, um so ihr Wohlwollen zu erwerben, doch dann bleiben sie in den Grenzen eines nicht zielführenden, friedlichen und legalen Kampfes; sie führen einen Dialog mit Staat und Betrieb und es wird ihnen regelmäßig die Tür vor der Nase zugeschlagen. Nur Streikposten, Streiks, die den Warenverkehr blockieren, können die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten überwinden: Arbeitnehmer müssen sich organisieren, um sich verteidigen zu können. Natürlich richten sich die Ereignisse nicht nach unseren Wunschvorstellungen. Doch zeigt die Analyse der Struktur des Kapitals, dass das Proletariat dazu gezwungen wird, erneut zum Protagonisten zu werden. Es ist die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft selbst, die weiterhin die Henker des Kapitals erzeugt: Nämlich die immer breiter werdende Schicht der Proletarier, die zu Sklaven des Kapitals geworden sind. Mittlerweile hat ein Großteil des Proletariats nichts mehr zu verlieren: es besitzt nichts mehr. In einer internationalen Perspektive sagen die heutigen Arbeitskämpfe mit all ihren Schwächen und Widersprüchen viel aus über das Vorhandensein eines auf seine ursprüngliche Lage reduziertes Proletariat, das sich aber bewegt und versucht, auf die Hiebe zu reagieren: Bedauerlicherweise ist es gespalten und hat daher große Schwierigkeiten, sich zu organisieren und sich den Schlägen der Arbeitgeber und deren Staaten zu widersetzen. Es wird noch in den Händen der Opportunisten gefangen gehalten, der bürgerlichen Lakaien im Schoße der Arbeiterklasse, die friedliche Kundgebungen und Dialog wollen und somit den Streik untergraben.

Bereits in der Vergangenheit sahen wir das Proletariat nach einer Zeit der Niederlagen und Passivität, seinen Weg wieder aufnehmen: Und wenn dies geschieht, dann wird die Kraft des Proletariats selbst die eigenen Organisatoren zu den Versammlungen begleiten, und nicht die Polizei! Die Kraft der zu tausend Opfer bereiten und zu großer Selbstlosigkeit fähigen Arbeiter bestimmt die Methoden und Ziele des Arbeitskampfes: der Streik und die Streikposten, der Arbeitskampf, der über den lokalen Rahmen hinausreicht. Ihre Kampfbereitschaft ergibt sich hauptsächlich aus den materiellen Lebensbedingungen und daher wird sie wieder auf die Bühne zurückkommen – angestoßen durch die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Proletarier, sich zu vereinigen und zu verteidigen. Auf die Erpressungen der Arbeitgeber, auf ihre Kraftproben muss man mit einer entsprechenden Kraft reagieren, mit einer Kraft, die einem Masse und Organisation verleihen. Das ist aber nur möglich, wenn die Proletarier einander erneut gegenseitig als Klassenbrüder sehen, und zwar auf internationaler Ebene. Dafür arbeiten die Kommunisten trotz der vielen Schwierigkeiten in den unmittelbaren und lokalen Arbeiterkämpfen weiter, obwohl sie immer von Feinden und, vor allem, von falschen Freunden umzingelt sind.

“Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen”, erklärte Warren Buffett, der US-Multimilliardär, der in der Rangliste der Dagobert Ducks dieser Welt einen der obersten Plätze einnimmt. Tja, dann ist es eben Aufgabe der Arbeiter aller Welt, ihm diese verächtliche Bemerkung bitter bereuen zu lassen.


Internationale Kommunistische Partei/Kommunistisches Programm

Auf italienisch:

http://www.internationalcommunistparty.org/index.php/it/294-il-programma-comunista-2018/n-02-marzo-aprile-201

[1]             Schon lange halten die Arbeitskämpfe bei Amazon Deutschland an. Die britische Zeitung “The Guardian” schreibt am 25.11.2013: “Die deutschen Amazon-Logistikzentren sind mit 9.000 Mitarbeitern der größte ausländische Standort des riesigen amerikanischen Internet-Unternehmens, das in den USA 90.000 Mitarbeiter hat. Die größten deutschen Standorte sind in Bad Hersfeld (Hessen) – 3500 Mitarbeiter – und in Leipzig. In Deutschland gibt es weitere 8 Amazon-Standorte, wo der Großteil der Arbeitnehmer befristet beschäftigt und daher leichter zu erpressen ist. In Deutschland begannen die Amazon-Arbeitnehmer im April 2013 den Arbeitskampf, und traten am 19. und 20. September in Streik, und dann erneut am 25. November für Lohnerhöhungen”. 

[2]             Siehe Ansa vom 20.Dezember 2017.

[3]             Erklärung einer Gewerkschaftsvertreterin von CISL, zitiert in “La Stampa” am 21.Dezember 2017.

 

Internationale Kommunistische Partei