Das Marx-Jubiläum und die historische Invarianz des Marxismus Wir bleiben auf Kurs!

Pubblicato: 2018-12-13 20:37:23

Vor 200 Jahren wurde Karl Marx geboren, vor 170 Jahren erschien das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Auch die Bourgeoisie kommt an diesem vielbeachteten Jubiläum nicht vorbei. Die schon Generationen dauernde konterrevolutionäre Phase, der unterentwickelte Stand der Klassenkämpfe erlaubt es ihren ideologischen Apologeten, uns einen geradezu weichgespülten Marx zu präsentieren. Den „wissenschaftlich-kritischen“ wie auch den inhaltsleer-huldigenden „Ehrungen“ ist gemeinsam, dass sie den revolutionären und kompakten Charakter des Marxismus negieren, ihn zugunsten separierter erkenntnistheoretischer, methodischer, ökonomietheoretischer und sonstiger „anerkannter“ Leistungen historisieren wollen. Die Verteidigung seines lebendigen revolutionären Charakters erfordert demgegenüber die Verteidigung der historischen Invarianz des Marxismus.

Ende 1847 hatten Delegierte aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Belgien der Schweiz sowie bevollmächtigte Londoner Bundesmitglieder für Dänemark, Schweden, die Niederlande, Polen und die USA auf dem Londoner Kongress des Bundes der Kommunisten Karl Marx beauftragt, die Ergebnisse einer langen theoretischen Diskussion in einem Manifest zu formulieren. In enger Zusammenarbeit mit Friedrich Engels übernahm er diese Aufgabe. Engels erinnerte sich später: „Der zweite Kongress fand statt Ende November und Anfang Dezember desselben Jahres. Hier war auch Marx anwesend und vertrat in längerer Debatte – der Kongress dauerte mindestens 10 Tage – die neue Theorie. Alle Widersprüche und Zweifel wurden endlich erledigt, die neuen Grundsätze einstimmig angenommen und Marx und ich beauftragt, das Manifest auszuarbeiten.“ (Engels 1885 zur Geschichte des Bundes der Kommunisten, MEW 21, S.215f.)

Das Kommunistische Manifest war der konzentrierte theoretische Ausdruck des damals international auf die historische Bühne getretenen proletarischen Klassenkampfes. Mit dem gedruckten Erscheinen des ebenso tiefgründigen wie kompakten Manifestes Anfang 1848 bekam dieser Kampf eine programmatische Orientierung, die bis heute gültig geblieben ist. Eine Orientierung, die auf einem materialistisch fundierten Determinismus beruht, dem jeder idealistische Persönlichkeitskult fremd ist. So wurde im Manifest selbst festgestellt: „Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“ (MEW 4 S. 474-475)

Genauso wie das Entstehen dieser „theoretischen Sätze der Kommunisten“ die geschichtliche Realität des revolutionären Aufbruchs erforderte (wie er 1848 gegeben war, als das Proletariat im Feuer der bürgerlichen Revolution als eigene Partei aufs Schlachtfeld trat),war das Schicksal der Rezeption dieser Theorie den Höhen und Tiefen des realen proletarischen Emanzipationskampfes unterworfen: Die seichte schrittweise Popularisierung des Marxismus durch die sozialdemokratischen Parteiapparate an der Wende zum 20.Jahrhundert, die schon die Keime des Revisionismus in sich trugen, die konsequente Verteidigung und revolutionäre Anwendung des Marxismus durch Lenin und die Bolschewiki, welche 1917 in der ersten erfolgreichen proletarischen Revolution mündeten und schließlich deren konterrevolutionäre Liquidierung durch den Stalinismus Mitte der 20er Jahre, der die bürgerlich-kapitalistische Entwicklung Russlands mit der ideologischen Konstruktion des „Marxismus-Leninismus“, einer beispiellosen Entstellung und Verfälschung des Marxismus, begleitete. Diese „Lesart“ des Marxismus, die von der Bourgeosie gerne aufgegriffen und von Legionen „kritischer“ Begleiter dutzendfach modifiziert wurde, dominiert seitdem weitgehend das Marxismus-Verständnis. Dass diese Entwicklung keine kritische Abkehr, sondern gerade eine prinzipienfeste Verteidigung des Marxismus erfordert, war die Position der „italienischen“ Linken von Anfang an.

Ende des 2. Weltkriegs hat sich unsere Partei reorganisiert, um dann Anfang der 50er Jahre mit der schwierigen Arbeit der theoretischen Wiederherstellung zu beginnen – nach den desaströsen Verwüstungen der stalinistischen Konterrevolution – und hat „Die historische Invarianz des Marxismus“ hervorgehoben: „Der Ausdruck 'Marxismus' wird nicht im Sinne einer von der Person Karl Marx entdeckten oder eingeführten Lehre gebraucht, sondern um sich auf die Lehre zu beziehen, die mit dem modernen Industrieproletariat entsteht und es während des gesamten Verlaufs der sozialen Revolution 'begleitet'. Obwohl dieses Wort von einer ganzen Reihe anti-revolutionärer Bewegungen für sich reklamiert und ausgebeutet wird, behalten wir den Begriff 'Marxismus' bei. […] Die Geschichte der marxistischen Linken, des radikalen Marxismus, ganz genau: des Marxismus, besteht in der sukzessiven Abwehr aller revisionistischen 'Wellen', die seit der organisch-monolithischen Entstehung der Doktrin und Methode (die mit dem 'Manifest' von 1848 zusammenfällt) verschiedene Seiten dieser Lehre angegriffen haben.“ (Die historische Invarianz des Marxismus, September 1952)

Jetzt werden uns nicht wenige „unflexible Dogmatiker“ schimpfen, uns vielleicht sogar eines Unverständnisses der „dialektischen Methode“ bezichtigen auf jeden Fall als „unmodern“ empfinden. Ja, wir geben gerne zu, unsere politische Arbeit nicht aus aktuellen Konjunkturen abzuleiten, sondern - genauso wie Marx - in historischen Dimensionen zu denken. Wir geben gerne zu, dass wir nicht den intellektuellen Ehrgeiz haben, den Marxismus „zu erneuern“. Wenn wir dies nämlich wollten, dann würden wir nichts anderes zugeben, als dass wir den Marxismus in seinem Wesen nicht verstanden hätten – und das überlassen wir gerne anderen.

Es ist in der heutigen linken Debatte geradezu modern, den Marxismus als unvollständiges, ständige Aktualisierungen geradezu erforderndes Theoriekonglomerat zu verstehen. So erklärt z.B. einer der ehemaligen Theoretiker des Operaismus in der BRD Karl Heinz Roth in der Marx 200-Beilage der Tageszeitung „Neues Deutschland“: „Wir haben Marx als einen Steinbruch gesehen, der uns unglaublich viele Impulse gegeben hat und der in zentralen Aussagen eigentlich immer wegweisend geblieben ist. Aber wir haben Marx auch immer als jemanden verstanden, der kein abgeschlossenes Werk produziert und immer genug Selbstzweifel hatte. Und dies Bild hat sich mit der neuen Marx-Forschung bestätigt.“ (nd, 28./29.4.2018) In einer Rezension von Michael Heinrichs neuer Marx-Biographie in der selben Zeitung wird diese Beliebigkeit dann noch dialektisch gequirlt: „Was dabei sichtbar geworden ist: ein unfertiger Marx, einer dessen kritisches Denken immer in Bewegung war, das Brüche erlebte, sich Neuem zuwandte, was dann wiederum zurückwirkte auf das Denken, es so abermals in Bewegung setzte, worauf sich auch die politische Praxis von Marx wieder veränderte, auch seine Forschungsvorhaben.“ (nd, 21./22.4.2018) Die Konsequenz dieser „offenen“ und „modernen“ Marx-Rezeption wird in einem anderen Beitrag des selben Autors über den Revisionisten Eduard Bernstein gezeigt: „In dem Bemühen, die Anwendungsmöglichkeiten der Marx'schen Theorie unter den seit Niederschrift des Buches [das Marx'sche Kapital von 1867] schon grundlegend veränderten Bedingungen auszuloten, war er [Bernstein!] dem Alten [Marx] methodisch, politisch, intellektuell näher als viele der 'selbstgerechten Theorie-Bewahrer' (…).“ (nd, 29./30.4.2017)

Mit diesem methodenfixierten Steinbruch-Verständnis lässt sich aus dem zerstückelten Marxismus dann alles konstruieren. Sumpfblüten, die keines Kommentars mehr Wert sind, wie ein Marxismus „chinesischer Prägung“, der auf dem „Weltkongress des Marxismus“ in Peking 2015 propagiert wurde oder der Versuch Marx als Kronzeugen linker Regierungspolitik zu instrumentalisieren. Letzteres z.B. in einem fiktiv an Marx gerichteten „Brief besorgter Sozialisten an den Herrn Doktor aus Trier“, in dem die Reformisten-Doktoren der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ein Futtertrog auch für viele vermeintlich radikale Linke, sich nicht zu dumm waren zu schreiben: „Ihr Ziel, Dr. Marx war eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der Einzelnen zur solidarischen Entwicklung beiträgt. […] Das erfordert die gesellschaftliche Kontrolle von Finanzen und Investitionen, die Demokratisierung der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen.“ Und - „weil keine Gruppen auch nicht die Arbeiterklasse oder Parteien diktieren dürfen“, muss man heute „auf breite Allianzen aller demokratisch-humanistischen Kräfte“ zielen, welche „die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse innerhalb des Staates verändert und Demokratie fördert.“ (nd, 28./29.4.2018) Hier wird Marx ernsthaft unterstellt, dass er freie, solidarische Bürger eines kapitalistischen Staates im Sinne hatte, als er vom Kommunismus (!) als freier Assoziation sprach. Doch zitieren wir aus dem Kommunistischen Manifest selbst: „Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeosie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, der Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (MEW 4, S.482)

Wir wundern uns nicht über die banalen und andernorts auch komplexeren Entstellungen des Marxismus und beabsichtigen auch nicht in einen produktiven Wettbewerb über die richtigen „Marx-Interpretationen“ einzutreten. Wie wir schon festgestellt hatten, ist die Entstehung und Wirkung der Marx'schen Lehre nicht unabhängig von der realen Entwicklung des Klassenkampfes. „Eine neue Doktrin kann nicht zu einem x-beliebigen historischen Zeitpunkt auftauchen“, schrieben wir damals in dem Text „Die historische Invarianz des Marxismus“. Das Auftreten des proletarischen Klassenkampfes und die ersten ökonomischen Krisen als deutliche Vorzeichen dafür, dass der Kapitalismus seine progressive Rolle längst überwunden hat und somit historisch überholt ist, haben das ausreichende Material geliefert, damit die marxistische Doktrin „in einer entscheidenden Epoche aus einem Guss entstehen konnte“ (ebenda). Schon im Manifest wird die Entstehung der kommunistischen Lehre an diese materiellen Voraussetzungen gekoppelt, wird z.B. der utopische Sozialismus auf die materielle Ursache der Unterentwickeltheit des Kapitalismus und der Klassenkämpfe zurückgeführt und festgestellt, dass „die Bedeutung des kritisch-utopistischen Sozialismus und Kommunismus […] im umgekehrten Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung [steht]. In demselben Maße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und gestaltet, verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phantastische Bekämpfung desselben, allen praktischen Wert, alle theoretische Berechtigung.“ (MEW 4, S. 491)

Die Kritik von Marx und Engels am utopischen Sozialismus, genauso wie am „reaktionären Sozialismus“ und „Bourgeoissozialismus“ im Kommunistischen Manifest zeigt auch, dass die kommunistische Lehre – einmal entstanden – sofort nach außen die Frontstellung „einer klar definierten und geschlossenen Schule, und im historischen Sinne einer klar definierten Partei“  annahm. In dem Dokument „Die historische Invarianz des Marxismus“, wird die irrige Vorstellung, der Marxismus sei eine Theorie in „ständiger historischer Ausarbeitung“ und würde sich im Laufe der Ereignisse und den daraus zu ziehenden Lehren modifizieren richtig als Ausdruck des bürgerlichen Hirngespinstes vom ununterbrochenen Fortschritt der Zivilisation dargestellt, als „Geschwätz, wonach jede neue Frühjahrskollektion und jede Laune der intellektuellen Mode mächtiger als die vorhergehende sei“.

Die theoretische Verteidigung der Invarianz des Marxismus bedeutet nicht, sich gegenüber der konkreten Entwicklung des konkreten Klassenkampfes zu verschließen. Im Gegenteil. Nur auf dieser Grundlage lassen sich die präzisierenden Erfahrungen des Klassenkampfes begreifen und ins kommunistische Programm einordnen. Es ist die eine historische und formale Kommunistische Partei, welche diese Invarianz verkörpert. Schon in dem Text von 1952 richtete sich die Partei gegen die immer wieder neu aufkommende Vorstellung der „Modernisierung“ des Programms durch diverse Zirkel [oder ein Milieu]: „Ein Witz, wenn sich winzige Grüppchen dieser Aufgabe annehmen und (noch schlimmer) sie in freier Diskussion durch groteskes Nachäffen des bürgerlichen Parlamentarismus und des berühmt-berüchtigten Aufeinanderprallens der Meinungen lösen wollen, was keinesfalls allerneuestes Hilfsmittel, sondern uralte Dummheit ist.“

Auch wenn sich die IKP seitdem durch verschiedene Höhen und Tiefen entwickelte, hat leider diese 1952 getroffene Feststellung auch für unsere heutige Situation noch eine wichtige Bedeutung: „Wir sind an einem maximalen Tiefpunkt in der Kurve des revolutionären Potentials angekommen und folglich Jahrhunderthälften von dem Moment entfernt, in denen originale geschichtliche Theorien auftauchen können. In diesem Moment, der Perspektive eines nahen gesellschaftlichen Erdbebens beraubt, ist nicht nur die Zersetzung der proletarischen Weltklasse ein logischer Bestandteil der Situation, sondern klar ist auch, dass es nur kleine Gruppen sind, die den historischen Leitfaden des revolutionären Verlaufs als großen, zwischen zwei sozialen Revolutionen gespannten Bogen zu halten wissen – immer vorausgesetzt, diese Gruppen zeigen, nichts Originelles verbreiten zu wollen und sich strikt an die überlieferten Formulierungen des Marxismus zu halten.“ („Die historische Invarianz des Marxismus“, September 1952)

Auch in diesen herausfordernden und schwierigen Zeiten behalten wir unseren historischen Optimismus und bleiben auf dem schon seit 170 Jahren skizzierten Kurs zum Kommunismus!

 

Internationale Kommunistische Partei